Pilnacek: Die Entschuldigung, die gar keine ist – Eine Analyse

Gelegentlich baut jemand ziemlichen Mist und steht dann unter dem Zwang, sich öffentlich zu entschuldigen. Was genau genommen ohnehin viel zu selten gemacht wird. Doch selbst eine nicht unbedeutende Anzahl dieser seltenen Entschuldigungen sind bei genauerer Betrachtung keine wirklichen Entschuldigungen. Oft fehlt uns – den Empfängern dieser „Entschuldigung“ – das Wissen, wieso eine Entschuldigung irgendwie nicht ehrlich klingt, und es bleibt Zweifel an der Ehrlichkeit.

Genau das geschieht gerade mit der als Entschuldigung titulierten Erklärung des ehemaligen österreichischen Spitzenbeamten Christian Pilnacek, bis zu seiner Suspendierung am 26.2.2021 höchster Beamter im Justizministerium, der im Rahmen der Casinos-Affäre und darauf eingesetzten parlamentarischen Untersuchungsauschusses in den Verdacht geraten war, ihm als Spitzenbeamten zugängliche Informationen über Razzien beziehungsweise schädigende Details an als beschuldigt geführte Personen weitergegeben und damit gewarnt zu haben. Das führte im Rahmen einer Hausdurchsuchung bei Pilnacek zu einer Beschlagnahme seiner Handys, deren Auswertung und Veröffentlichung der Chats ein Sittenbild der Beteiligten offenbarte, die bei einem Spitzenbeamten eiigentlich nicht zu erwarten sei. So wurde die Rechtmäßigeit demokratischer Institutionen in Frage gestellt, Beamte, Politiker und Manager staatsnaher Betriebe deftig kommentiert und generell eine Verhalten vorgelegt, das Zweifel an der Eignung Pilnaceks und der Chat-Teilnehmer für den öffentlichen Dienst in der Republik Österreich erweckte.

Pilnacek sah sich nun zu einer Erklärung gezwungen, die aber nicht nach einer Entschuldigung klang, auch wenn die Medien es so berichten. Es handelt sich bei genauerer Betrachtung eben nicht um eine Entschuldigung, sondern um eine „Nicht-Entschuldigung“- im Englischen „non-apology“.

1. Warum schreibe ich dazu?

Und genau das ist Thema meines am 12. August 2021 erscheinenden Buchs Sorry not sorry: Die Kunst wie man sich nicht entschuldigt, in dem ich unter anderem 40 Kunstgriffe vorstelle, die in vielen solcher Nicht-Entschuldigungen verwendet werden. Dieses humoristisch angelegte Buch hat einen ernsten Hintergrund. Einige Kunstgriffe habe ich bereits mal in einem anderen Beitrag vorgestellt, hier aber analysieren wir nun ganz gezielt Christian Pilnaceks Erklärung.

Sorry Not Sorry

40 Kunstgriffe für Minister, Manager und sonstige Mistkerle, die Scheiße gebaut haben und nun die Aufregung nicht verstehen.

Dieses Buch kann bereits beim Verlag oder Amazon vorbestellt werden.

2. Elemente einer Entschuldigung

Bevor wir Pilnaceks Erklärung ansehen, gehen wir noch rasch darauf ein, warum wir eine Entschuldigung brauchen, und wie eine ehrlich und aufrichtige gemeinte Entschuldigung auszusehen hat.

Warum brauchen wir eine Entschuldigung?

Die Autoren von „When Sorry Isn’t Enough“, die Psychologin Jennifer Thomas und der Betreuer Gary Chapman, führen an, dass eine Entschuldigung zu Vergebung und Versöhnung führt.

Wenn wir uns entschuldigen, übernehmen wir die Verantwortung für unser Verhalten und versuchen, bei der Person, die beleidigt wurde, Wiedergutmachung zu leisten. Eine aufrichtige Entschuldigung öffnet die Tür zur Möglichkeit der Vergebung und Versöhnung.

Die Logik dahinter zielt auf die Beseitigung eines mentalen Hindernisses ab:

Die unrechtmäßige Handlung steht wie eine Barriere zwischen den beiden Menschen und die Beziehung ist zerrüttet. Sie können, selbst wenn sie wollten, nicht so leben, als wäre das Unrecht nicht begangen worden.


Welche Elemente sollte eine Entschuldigung haben?

Der amerikanische Verhaltensforscher David P. Boyd kam auf sieben aufeinanderfolgende Schritte, die er als die Kunst einer öffentlichen Entschuldigung bezeichnet:

  1. Offenbarung
  2. Erkennung
  3. Reaktionsfähigkeit
  4. Verantwortung
  5. Gewissensbisse
  6. Rückerstattung
  7. Reform

In den ersten beiden Schritten wird man gewahr, dass Mist passiert ist und dass eine Entschuldigung fällig wird. Im dritten Schritt soll dann möglichst rasch und unverzüglich die Entschuldigung folgen, in der Verantwortung für das eigene Handel (oder Unterlassen) übernommen wird, man sich zerknirscht zeigt, Wiedergutmachung verspricht und Handlungen setzen, um in Zukunft solche Missgeschicke zu vermeiden.

Somit sind wir gerüstet, um zu verstehen, wie eine ehrlich gemeinte Entschuldigung auszusehen hat.


3. Pilnaceks Entschuldigung in der Analyse

Sehen wir uns nun die ‚Entschuldigung‘, wie sie in der Tageszeitung Kurier abgedruckt worden ist, im Detail an:

Der erste Absatz

Nichts zu beschönigen – Erklärung von Christian Pilnacek

Der nun öffentlich bekannt gewordene Inhalt privater Kommunikation, insbesondere jener der Nachrichten mit dem mir freundschaftlich verbundenen Univ. Prof. Dr. Wolfgang Brandstetter über den Verfassungsgerichtshof und seine Mitglieder ist unverzeihbar, nicht zu rechtfertigen und völlig unangemessen. Jeder Versuch einer Erklärung muss angesichts der zu verurteilenden Wortwahl scheitern.

Dieser Absatz klingt im ersten Moment ehrlich und richtig gemeint, bei näherer Betrachtung erkennen wir aber die unpersönliche Form, so als ob Pilnacek ein unbeteiligter Beobachter einer „privaten Kommunikation“ sei. Auch steht hier in unpersönlicher Form der Satzteil „….der zu verurteilenden Wortwahl“ statt „…meiner zu verurteilenden Wortwahl“. Pilnacek zeigt durch die unpersönliche Adressierung des Problems, dass er für seine Wortwahl die Verantwortung nicht übernimmt. Schon gar, weil die Wortwahl weder zu beschönigen noch erklärbar ist. Nicht nur die Wortwahl, sondern die gesamte Einstellung zum Rechtsstaat sind hier verwerflich, jedenfalls nicht einem Spitzenbeamten der Republik Österreich zustehend. Er tut also so, als ob eine angemessenere Wortwahl solch merkwürdige Einstellung akzeptabler machen würde.

Welche Kunstgriffe sind nun hier vertreten?

Der Anfangssatz, der auf die private Natur der Chats hinweist, ist im Buch der 24. Kunstgriff: Es ist passiert, aber es war nicht für andere Ohren und Augen gedacht.

Die unpersönliche Adressierung in der Entschuldigung ist übrigens in meinem Buch der 5. Kunstgriff: Es ist passiert, aber nicht mir. Nach dem Motto „Fehler wurden gemacht, aber nicht von mir„.

Der zweite Absatz

Sehen wir uns den zweiten Absatz an, und der setzt in einem ähnlichem Ton fort:

Ich kann mir das schon deshalb nicht erklären, weil diese abstoßenden Worte im völligen Widerspruch zu meiner Persönlichkeit, meinen Einstellungen und zu meiner bisherigen und langjährigen Arbeit im Dienst der Rechtspflege stehen. Ich bin stets entschieden und offen gegen jede Art von Hass, des Rassismus oder des Sexismus aufgetreten, weshalb meine Nachricht an Univ. Prof. Dr. Wolfgang Brandstetter auch mich zu tiefst entsetzt. All jene, die ich damit verletzt und beleidigt habe, in erster Linie den Verfassungsgerichtshof, seine Vizepräsidentin und SC Dr.in Claudia Kahr, aber auch meine Familie und Freunde möchte ich um Verzeihung bitten. Es gibt nichts zu beschönigen, aber ich ersuche doch mich mehr an meinen Taten und Leistungen als dieser Verfehlung im Rahmen einer privaten Kommunikation zu beurteilen. Dem Verfassungsgerichtshof und seinen Mitgliedern entbiete ich meinen allerhöchsten Respekt. Die Bedeutung dieser Institution für den demokratischen Rechtstaat verdient die höchste Achtung.

Auch hier geht es im selben Ton der unpersönlichen Adressierung weiter. Im ersten Satz „Ich kann mir das schon deshalb nicht erklären, weil diese abstoßenden Worte…“ wird nicht die Verantwortung übernommen. Die Abänderung eines einzigen Worts kann das ändern: „…weil meine abstoßenden Worte…“ Gefolgt wird das ganze mit einer falschen Fährte, die zeigen soll was er, Pilnacek, für ein ehrenwerter Mann eigentlich sei. Die scheinbar von irgendjemand – gibt es eigentlich Redenschreiber für Chats? – gewählten Worte stehen „im völligen Widerspruch zu meiner Persönlichkeit, meinen Einstellungen und zu meiner bisherigen und langjährigen Arbeit im Dienst der Rechtspflege“.

Er legt noch nach, indem er auf sein Eintreten gegen „jede Art von Hass, des Rassismus oder des Sexismus aufgetreten….“ hinweist. Mit anderen Worten: das ist nicht er, er ist ja eigentlich anders. Nur: Hass, Rassismus und Sexismus manifestiert sich (auch) durch die Wahl der Worte. Als jemand, der sich dagegen engagiert, müsste es ihm besonders stark bewusst sein. Die Wortwahl muss somit ganz gezielt gewählt worden sein, weil er weiß, wo es am meisten weh tut und wie man Hass, Rassismus und Sexismus besonders gut ausdrücken kann.

Mit anderen Worten: das war schon er, Pilnacek. Diese Worte repräsentieren ihn eindeutig. Er kann sich da nicht herausreden. Er versucht sich dann wieder nicht nur als Unbeteiligter, sondern sogar als Geschädigten darzustellen.

Mit dem Satz „weshalb meine Nachricht an Univ. Prof. Dr. Wolfgang Brandstetter auch mich zu tiefst entsetzt„. Wie der Schnarchende, der aufwacht und „Ruhe!“ schreit. Oder der im vollbesetzten Aufzug Furzende, der als erster lautstark die Nase ob der Unerzogenheit der anderen Anwesenden rümpft.

Ebenso versucht er die Aufmerksamkeit auf etwas Anderes zu lenken. Nicht wegen der seiner Wortwahl in dieser privaten Kommunikation sollten, sondern wegen seiner sonstigen Leistungen sollten wir ihn bewerten. So als ob ein Grapscher, egal ob verbal oder physisch, dadurch besser oder entschuldbar wird. Harvey Weinstein blieb auch das Gefängnis nicht erspart, nur weil er tolle Filme produziert hat.

Welche Kunstgriffe sind nun hier vertreten?

Neben dem schon erwähnten 5. Kunstgriff: Es ist passiert, aber nicht mir und dem 24. Kunstgriff: Es ist passiert, aber es war nicht für andere Ohren und Augen gedacht ist nun der 14. Kunstgriff: Kann gar nicht sein, weil ich auch so [nicht] bin hinzugekommen.

Auch stellt er sich als Opfer, als Geschädigter dar, der „entsetzt“ war. Das ist der 13. Kunstgriff: Es ist passiert, aber ich bin das eigentliche Opfer.

Und dann der 26. Kunstgriff: Es ist passiert, aber es gibt Wichtigeres, mit dem er darauf hinweist, dass er bitte an seinen vielen anderen, den „wichtigen“ Leistungen gemessen werden soll. Beleidigungen seien somit implizit ausgedrückt „unwichtig“

Der dritte Absatz

Was aber nach diesen beiden Absätzen folgt, ist nicht mehr eine Nicht-Entschuldigung, sondern ein Rundumschlag, der die Rechtmäßigkeit der Konfiszierung seines Diensthandys in Frage stellt. Anstelle – wie man auf Wienerisch so schön sagt – endlich die „Gosch’n“ zu halten, macht er in genau dem Ton und mit der Attitüde weiter, die wir aus den Chatprotokollen kennen lernten. Und widerspricht sich damit in allen seiner in den beiden ersten Absätzen vorgebrachten Argumenten, dass er es sich nicht erklären könne, und das ihn nicht richtig darstelle. Die Art wie er nun austeilt, ist genau diejenige, die auch in den Chatprotokollen vorkommt.

Dennoch muss ich hier festhalten, dass der betreffende Inhalt einer privaten Kommunikation schon rein abstrakt nichts mit dem Untersuchungsgegenstand des Ibiza-Untersuchungsausschusses zu tun hat. Mein Antrag, private und andere Kommunikation von solcher zu trennen, die abstrakt mit dem Untersuchungsgegenstand in Zusammenhang steht, ist vom Bundesministerium für Justiz nicht einmal behandelt worden. Mir wurde auch nicht die Gelegenheit geboten, in das Ergebnis der Sichtung und Auswertung Einsicht zu nehmen, sodass ich die Richtigkeit und Vollständigkeit dieser Sichtung und Auswertung nicht abschließend beurteilen kann.

Er beginnt nun abzulenken, indem er sich als Opfer eines ihn vorgeblich nicht betreffenden Politskandals darstellt, und diese privaten Meldungen kein Untersuchungsgegenstand seien. Damit deutet er an, dass es irgendwie unrechtmäßig sei, dass seine Handys konfisziert worden seien, und insinuiert, dass es eine politisch motivierte Aktion wäre. Er fühlt sich zu Unrecht als Bauernopfer, und die Chat-Inhalte als etwas, das Andere nun politisch ausnutzen würden.

Er geht damit von einem Text, der eigentlich eine Entschuldigung sein sollte zu einem, der sich nun in eine Rechtfertigung und Attacke verkehrt. Nicht mehr die Wortwahl sollen wir betrachten, sondern die für ihn fragwürdigen Umstände der Konfiszierung seiner Handys.

Damit verwendet er die im Buch als 12. Kunstgriff: Es ist passiert, aber die Anderen nutzen das aus und 13. Kunstgriff: Es ist passiert, aber ich bin das eigentliche Opfer betitelten Kunstgriffe. Und mit seiner Attacke wendet er den 20. Kunstgriff: Es ist nur passiert, weil das System zweifelhaft ist.

Die abschließenden beiden Absätze oder Das große Finale

Dass die Veröffentlichung dieser Nachrichten samt eindeutig privater und nicht für die Öffentlichkeit bestimmter Chats – entgegen ihrer Einstufung nach dem Informationsordnungsgesetz als „Vertraulich“ –und ohne vorherige Information meinerseits just an dem Tag erfolgte, an dem die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht über die Frage meiner Suspendierung stattfand, darauf mögen sich insbesondere jene einen Reim machen, die sonst jede Beeinflussung der unabhängigen Gerichtsbarkeit ablehnen.

Schließlich sollte auch nicht untergehen, dass der der Verdacht des Verrats des Termins einer Hausdurchsuchung im Juni 2019 Anlass für die Sicherstellung meiner elektronischen Geräte war; dieser Verdacht hat sich nach dem Inhalt der ausgewerteten Kommunikation in keiner Weise bestätigt.

Christian Pilnacek

5. Juni 2021

Auch in den beiden abschließenden Absätzen macht er sich wieder zum Opfer eines „Leaks“ vertraulicher Kommunikation, mit den schon bekannten Kunstgriffen 13 und 24 und setzt zur Gegenattacke an. Letztere wiederum ist im Buch der 35. Kunstgriff: Setze zur Gegenattacke an.

4. Conclusio

Was wir somit mit Christian Pilnaceks Erklärung vorliegen haben ist – im Gegensatz zu den in den Medien vertretenen Meinungen – in weiten Teilen keine Entschuldigung. Es ist eine Rechtfertigung, eine Gegenattacke und eine Ablehnung der Übernahme der Verantwortung durch den Täter. Die Erklärung ist somit wertlos, weil sie wichtige Elemente einer Entschuldigung auslässt, und weder Verantwortung übernommen, Gewissensbisse gezeigt werden oder darauf eingegangen wird, wie das in Zukunft vermieden werden soll.

Und hier nochmals das Buch, das ab 12. August 2021 dann mit allen 40 Kunstgriffen erscheint.

Sorry Not Sorry

40 Kunstgriffe für Minister, Manager und sonstige Mistkerle, die Scheiße gebaut haben und nun die Aufregung nicht verstehen.

Dieses Buch kann bereits beim Verlag oder Amazon vorbestellt werden.

4 Gedanken zu “Pilnacek: Die Entschuldigung, die gar keine ist – Eine Analyse

  1. Wer kennt D. Foster-Wallace: „the infinite jest“? Da gibts die schreckliche nacht eines koksers, der im rausch in einem selbstherrlichkeitsfuror völlig empathiefrei + hemmungslos eine verheerende schneise schlägt. Der mann war allerdings auch ohne koks schon ein charakterliches miststück.
    An den erinnerte mich die pilnaceksche offenbarung: „erschrocken + entsetzt … das bin nicht ich ..usw“. Mit einem wort: ein rausch hat mich wohl hinfortgetragen – hat mich dinge sagen lassen, an die ich mich im wachzustand nicht mal erinnern könnte, würde man sie mir nicht nachweisen – und ich erkenne mich auch gar nicht darin ..“
    Eine bewusstseinsabttrennung also. Ob der rausch durch persönlichkeitsanteile wie wahnhafte größenvorstellungen oder doch durch dafür geeignete substanzen ausgelöst wurde, bleibt ganz im dunkeln. Vermittelt wird uns nur ein schreckhaftes erwachen (verursacht durch die proletenhorden, die sich meines handys bemächtigt UND inhalte geleakt haben).
    Lachhaft.
    Als staatsbürgerin hätte mich darüber hinaus besonders 1 punkt interessiert: wofür genau bräuchten wir einen trump???
    Seine anderen „nicht-erklärlichen“ aussagen können wir uns auch ohne seine hilfe bzw auch trotz seiner entsetzten sprachlosigkeit durchaus selber erklären ..

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