Vor einigen Jahren spielte eine Freundin in einem Theaterstück die Hauptrolle einer Witwe, deren Ehemann vor seinem Tod sein Gehirn auf einen Computerchip hochgeladen hatte. Damit blieb er auch lange nach seinem Tod im Leben seiner Frau und Kinder präsent. Was der Verstorbene dabei zu berücksichtigen vergessen hatte, war, dass seine Familie älter wurde. Seine Kinder wuchsen heran, wurden Teenager und Erwachsene. Für seine Frau ging das Leben weiter, sie suchte sich einen neuen Partner. Nur der Ehemann, auf ewig eingefroren auf dem KI-System – änderte sich nicht. Konflikte waren somit vorprogrammiert und die Lage spitzte sich zu, bis die Familie nur mehr eine Möglichkeit sah: die Maschine abzuschalten und damit den verstorbenen Vater und Ehemann endgültig auszulöschen.
Der Wunsch nach Unsterblichkeit bewegt die Menschheit seit Anbeginn der Zeiten, und er ist verständlich. Religionen bedienen dieses Wunsch nach dem Weiterleben einer Seele nach dem Tod oder der Wiedergeburt oder Wiederauferstehung. Seancen mit Geisterbeschwörern oder Priester, die den Kontakt aufrecht erhalten sollten, hat immer eine willige Klientel.
Mit neuen Technologien wie künstlicher Intelligenz oder virtueller Realität, treten wir in eine neue Phase ein, wo wir dem Wunsch nach Unsterblichkeit oder dem Kontakt mit Verstorbenen (etwas) näher kommen. Ein berührendes Beispiel kommt dieser Tage aus Korea.
2016 starb Nayeon, die damals siebenjährige Tocher von Jang Ji-sung, an einer unheilbaren Krankheit. Drei Jahre später stellte ein Fernsehsender Ausschnitte aus einer Dokumentation vor, in der Jang mit ihre Tochter virtuell vereint wurde.
In achtmonatiger Arbeit hatten Designer mit Hilfe der Bewegungen eines Kinderschauspielers Nayeon in Virtual Reality geschaffen, und sogar den Lieblingsspielplatz des Mädchens nachgestellt. Ihre Mutter wurde dann eingeladen vor einem Green-Screen mit Virtual-Reality-Brillen diese Welt zu erkunden und wie nicht anders zu erwarten fällt diese Erfahrung äußerst emotional aus.
Man sieht wie Jang mit dem Mädchen interagiert und sie zu berühren versucht. dabei aber natürlich immer wieder in die Luft greift. Auch ein Geburtstagsfest feiert die Mutter mit der virtuellen Tochter.
Diese Nachstellung war so real, dass nicht nur Jang zu Tränen gerührt war, sondern das gesamte Produktionsteam. Für Jang war das ein Tag im Paradies, wie sie selbst sagte, ein Traum, den sie sich lange gewünscht hatte.
Auch wenn die Produktion dieses Szenarios acht Monate gedauert hatte, kann erwartet werden, dass wir sehr bald eine Plattform haben könnten, wo es reicht ein paar Fotos und Stimmproben hochzuladen, und glaubhaft in virtueller Realität mit Verschiedenen interagieren kann. Glaubhaft genug jedenfalls, dass es zu solchen emotionalen Reaktionen kommt, wie sie Jang durchlief. Was das für den Trauerprozess bedeutet, kann noch nicht eingeschätzt werden, aber dies Diskussionen werden spannend werden.
Und wir können uns auch bereits vorstellen, wie wir aus der virtuellen Welt in eine wirkliche kommen, wenn wir solch ein Verhalten und Aussehen auf einen Roboter transferieren können. Leben wir dann unendlich lange weiter? Wird Tod damit zu etwas Vermeidbaren, etwas das nicht mehr das Ende bedeutet sondern erst den Beginn?
Eventuell müssen wir berücksichtigen, die Toten nicht in ihrem letzten Zustand virtuell einzufrieren, sondern ihnen zu ermöglichen, sich zu ändern. Sonst geht es uns wie in dem Theaterstück, wo wir die KI letztendlich abschalten müssen, um mit unserem Leben voranzukommen.
Dieser Beitrag ist auch auf Englisch erschienen.
Trauer ist immer eine individuelle Trauer.
Jeder trauert anders, keine Trauer sollte von anderen kommentiert werden.
Johann Wolfgang von Goethe schreibt zur Natürlichkeit des Todes:
Und so lang du das nicht hast,
Dieses: Stirb und werde!
Bist du nur ein trüber Gast
Auf der dunklen Erde.
Wohl dann, einjeder möge selbst entscheiden, wie lange er trauert. Und ab wann er die Natürlichkeit des Todes für sich akzeptiert.
Ich schliesse mich dem Kommentar von Uwe an, aber muss feststellen, dass wir den technischen “Fortschritt” noch nie wirklich lange aufhalten konnten, er ja auch an einigen Stellen wirklichen Fortschritt bringt und wir deshalb die ethische Diskussion dringend führen müssen, bevor eine neue Realität ohne unser Mitspracherecht über uns hinweg rollt. Will heissen, das wir so wie in vielen anderen Bereichen des Lebens uns auch hier auf einen Rahmen einigen sollten, um ungesunde Auswüchse rechtzeitig zu vermeiden.
Zu dem Artikel gibt es aus meiner Sicht mindestens zwei Aspekt/Szenarien zu unterscheiden.
Der eine ist, die Frage wie Menschen auf die Begegnung mit Bildern von verstorbenen Angehörigen reagieren. Können diese Emotionen nicht genauso gut durch die Erinnerung oder die Betrachtung von Photos ausgelöst werden. Ist VR hier nicht lediglich eine Animation eines Photos? Und was kann AI im Zusammenspiel mit VR hier leisten, wenn, wie richtig erwähnt, der Mensch sich ja nicht mehr weiterentwickeln kann. Und auch seine bisherige Lebenserfahrung mit allen Erlebnissen, Eindrücken und Berührungen basierend auf der individuellen DNA jedes einzelnen, kann ja derzeit schwerlich auf Platte gebrannt werden.
Der andere Aspekt ist der Wunsch nach ewigem Leben (ohne Unterbrechung durch Tod und Wiedergeburt). Geht das sinnvollerweise nur in demselben menschlichen Körper, wie dies Anti-Aging- und Longevity Forscher wie Professor David Sinclair versuchen zu erforschen oder kann das dann auch in einem anderen Körper oder einem Roboter stattfinden, mit den oben bereits genannten Einschränkungen. Dazu wurden aber schon unzählige Sci-Fi Filme gedreht. Nun scheint es es aber konkreter zu werden.
Zum Thema Unsterblichkeit habe ich einen ausführlichen Teil in meinem neuesten Buch “Wenn Affen von Affen lernen”. Da gibt’s einen tollen Roman von Simone de Beauvoir “Alle Menschen sind sterblich” auf dem ich in meinem Buch aufsetze und das erarbeite: https://www.amazon.de/Wenn-Affen-von-lernen-Intelligenz/dp/3864706491