Deutsche Leadership-Angst, Technologieverliebtheit und fehlendes Benchmarking

Welche Hauptunterschiede sieht Dirk Kanngießer, Geschäftsführer des German Accelerators hinsichtlich der Erwartungen und der Mentalität zwischen deutschen Unternehmen und dem Silicon Valley? Im zweiten Teil eines längeren Gesprächs äußert er sich über Start-ups, den Mittelstand und die zukünftige Entwicklung.

Start­ups

Start-up-Gründer haben nach Dirks Meinung in Deutschland zu wenig Möglichkeiten, sich mit Sparringpartner zu profilieren und entsprechende Benchmarks zu entwickeln. Im Silicon Valley seien Gründer so stark selbst ein Teil des Ökosystems, dass sie hier das erste Mal in die Lage versetzt werden, den eigenen Markt so richtig tief zu durchdringen. Es reiche nicht, eine Fünf-Millionen-Firma in fünf Jahren aus dem Boden zu stampfen und sich mit einem Marktanteil von einem halben Prozentpunkt zufriedenzugeben. Hier werde man gezwungen, größer und schneller zu denken und mehr zu wagen. Eine sinnvolle Marktdefinition lerne man das erste Mal hier und nicht in Deutschland, wo man eher in seinen Markt und die ersten Kunden reinstolpert. Auch stellten Gründer schnell fest, dass sich hier schon andere Marktteilnehmer und ähnliche Start-ups um dasselbe Thema kümmern. In Deutschland haben viele Start-ups gute Idee, aber sie denken, dass sie damit ganz alleine sind. Dann überzeugen sie ihr Ökosystem von der Einzigartigkeit der Idee. Ganz im Gegensatz zum Silicon Valley, wo man nicht an Einzigartigkeit glaube, dafür aber an den großen Markt und das Denken im großen Maßstab und dass man möglichst schnell den Markt besetzen muss.

Deutsche Unternehmen seien oft zu technologieverliebt. Die Überzeugung, dass die bessere Technologie automatisch zum Markterfolg führt, stecke tief in deutschen Knochen. Man rate sogar von einem frühen Markteintritt ab, um das Produkt noch besser zu machen. Das sei aber Blödsinn. Das sei so, als ob ich am Formel-1-Wagen herumschraube, um ihn noch zu verbessern, während die anderen längst ins Rennen gestartet sind. So ein Rennen kann man nicht gewinnen.

Im Silicon Valley sind Start-ups relativ schnell in der Lage, konkretes Feedback von künftigen Kunden zu erhalten, während in Deutschland der Zugang zum Kunden relativ stark reglementiert sei. Hier laufe alles sehr kollegial ab, bei einem Kaffee kann man sich unkompliziert Feedback holen. Es gebe weniger psychologische Barrieren und die Kunden geben bereitwillig Rückmeldungen.

Hier glaube man an das Schneeballsystem, an das fundamentale Prinzip, dass eine steigende Flut sämtlichen Booten Auftrieb verleihen wird. Ein Zurückhalten von Information hält man für schädlich. Das heißt nicht, dass alle Details verraten werden müssen, aber man tausche sich freizügig über Cash-BurnRate, Fundraising, Gründer und Rechtsanwälte aus, was jedem zugutekommt. Die ersten Gespräche mit anderen sind bereits von Offenheit geprägt und das führe dazu, dass kontinuierlich Benchmarking betrieben wird, sodass man stets weiß, wo man im Vergleich zur Konkurrenz steht. In Deutschland passiere das nicht in diesem Ausmaß, man befinde sich in einem Vakuum und habe eigentlich keine Ahnung, wie gut man aufgestellt ist.

In Deutschland sind wir laut Dirk in einem Stadium, wo es fast keine Serial Entrepreneurs (Leute, die mehrere Unternehmen gegründet haben und damit erfolgreich waren) gibt. Dasselbe trifft auf Angel-Investoren zu. Das kollektive Wissen dort basiert auf singulären Ereignissen. Trotzdem werden fast schon missionarisch ‚Erfolgsrezepte’ kolportiert. Das ist im Silicon Valley anders, weil es hier eine Unmenge an Serial Entrepreneurs gibt, die verstanden haben, dass erfolgreiche Unternehmensgründungen nicht auf einem bestimmten Erfolgsrezept basieren. Dadurch gibt es weniger missionarisch verbreitete Wahrheiten und Mentoren sagen einem weniger, wie etwas zu tun ist, sondern fragen eher nach, was bereits ausprobiert wurde.

Auch unter den VCs und Angels befinden sich etliche, deren Erfolge und Verluste nicht bloß auf ein Venture beschränkt sind. Nicht nur betreiben sie selbst kontinuierliches Benchmarking, was sie immer besser werden lässt. Man findet darunter auch welche, die mit Unicorns vertraut sind oder selbst welche geschaffen haben. Damit haben sie Erfahrung mit Hyperwachstum und das ist in Deutschland sehr selten. Was gute Angels und VCs so einzigartig macht, ist, dass die meisten von ihnen selber Ingenieure sind, die ihren Erfahrungsschatz gern teilen.

Eine große Stärke sei auch das Know-how im Silicon Valley, das tief in die Wertschöpfungskette bis nach Asien hineinreicht. Die Breite und Tiefe des Wissens, das das Silicon Valley anzubieten hat, ist erstaunlich und erfordert unaufhörliches Benchmarking, und das seit mehr als 40 Jahren.

Hier gibt es keinen Platz für Blender und Schwätzer. Das Silicon Valley versteht es auf elegante Art und Weise, diese auszusieben. Wenn es nicht läuft, bekommt man schnell zu spüren, dass die Bay Area ein ziemlich teures Pflaster ist, und zieht dann weg.

Mittelstand und Großunternehmen

Die deutschen Unternehmen, die einen Outpost hier haben, sind mit wenigen Ausnahmen vor allem aus der Technologiebranche. Und von denen sind wiederum die erfolgreich, die unter Innovation nicht nur Technologie-Innovation verstehen, sondern Innovation auch in anderen Bereichen vornehmen. Man dürfe nicht unterschätzen, dass ein Innovation Outpost im Silicon Valley auch Marketing für das Unternehmen ist und damit für Topleute besonders attraktiv wird. Samsung exerziert das vor, GE weniger, weil die mit dem Outpost in San Ramon in der East Bay schon fast zu weit vom Schuss sind.

SAP ist das interessanteste Beispiel, weil sie mit SAP Labs nicht nur einen Outpost geschaffen haben, sondern auch das SAP Center in San José sponsern, mit der Sapphire und SAP TechEd jährlich zwei große Konferenzen in den USA abhalten und zudem der CEO in den USA lebt und in den vergangenen Jahren mit Shai Agassi und Vishal Sikka zwei Produktentwicklungschefs im Silicon Valley lebten. Das macht SAP mit beinahe 5.000 Mitarbeitern in der Bay Area schon fast zu einem amerikanischen Unternehmen mit starker Verwurzelung im Silicon Valley.

Zukunft

Die Welt wird immer komplexer und Europäer sind eigentlich Meister im Organisieren komplexer Systeme. Das bietet deutschen Start-ups mit mathematischen und analytischen Systemfähigkeiten global gute Chancen, konkurrenzstarke Lösungen anzubieten. Die Start-ups müssen nicht immer zu Unicorns werden, aber im Laufe die Zeit ermöglichen kleinere Erfolgsgeschichten einen sich selbst verstärkenden Zyklus an Gründungen, Wachstum, Verkäufen und Neugründungen durch eine Reinvestition ins System. Die Unicorns werden Ausreißer bleiben – was man braucht, so Dirk, ist das Rückgrat vieler kleiner erfolgreicher Start-ups.

Was Deutschland vernachlässige, wo es jedoch Chancen für Start-ups gebe, ist im Bereich der Digitalisierung der Industrie. Industrie 4.0 werde eine leere Versprechung bleiben, weil die Industrien so verwöhnt und selbstverliebt sind, dass sie das nicht hinkriegen werden. Das öffne deutschen Start-ups die Tür. Ebenso sei Global Leadership etwas, das den Leuten in Deutschland nur schwer über die Lippen gehe, sicherlich auch aus historischen Gründen. Betrachte man Deutschlands Führungsposition und Soft Power in der Weltpolitik und wie sehr Menschen aus anderen Teilen der Welt auf Deutschland schauen – und das im positiven Sinne –, sei es mehr als angebracht, dass auch deutsche Unternehmen sich dieser Global Leadership nicht länger verschließen. Deutschland könne – in aller Bescheidenheit – der Welt viel beibringen und Vorbild sein.

In Deutschland sähe man Schumpeters Theorie der Selbstzerstörung des Kapitalismus gerne bestätigt – dieses Denken ist historisch verankert –, doch dann möchte man diesen Prozess lieber doch nicht befördern. Deswegen werde mehr über Befürchtungen als über Chancen diskutiert. Eigentlich, so ist Dirk überzeugt, will Deutschland keine Veränderung, das seien alles nur Lippenbekenntnisse. Offensichtlich werde das in der Hochmut und Arroganz, die auf dem Glauben an die technische Überlegenheit deutscher Technik basiert.

Diese Überlegung bringe beispielsweise die Ingenieure der Automobilhersteller dazu, eine Grundhaltung an den Tag zu legen, die neue Antriebstechniken ablehnt. Das führt zu der technologischen Überheblichkeit, die die Ereignisse um den Dieselskandal erst erklären. Dieser Skandal ist ein Ausreißer. Dass ein deutsches Unternehmen so etwas macht, schien völlig unvorstellbar. Das lege eine ultimative grenzenlose Arroganz offen, die deutsche Ingenieure den Amerikanern und dem Rest der Welt offenbar entgegenbringen, nach dem Motto: „Ihr Amerikaner habt nicht kapiert, was die ultimativ richtige Lösung ist: der Dieselmotor. Deshalb werden wir uns mit allen Mitteln in den Markt drängen, weil wir wissen, dass das auf lange Sicht der richtige Weg ist. Ihr mit euren Benzinschlürfern braucht euch da nicht wichtig machen.“ Daraus ergab sich, so meint Dirk, eine Verkettung notwendiger Verschleierungen, die sie immer tiefer in den Schlamassel geritten haben, und dies beruhe eben auf besagter technologischer Überheblichkeit.

Dieses Porträt erschien im Buch Das Silicon-Valley-Mindset.

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