Digitale Transformation: das Biest das es zu zähmen gilt

Beobachtet man die Diskussionen um die digitale Transformation in Europa kriegt man das Gefühl hier sei eine Lösung auf der Suche nach einem Problem. Ein Anzeichen dafür ist wer der eigentliche Treiber in Deutschland hinter der Industrie 4.0-Initiative ist: die deutsche Bundesregierung. Während die Vertreter in der deutschen Initiative vor allem Verbände sind, bemühen sich in den USA vor allem große Privatunternehmen darum.

Braucht die deutsche Wirtschaft die Industrie 4.0 / Digitale Transformation nun so dringend wie eine Warze am Arsch? Die Zusammensetzung der Initiative und die Verwirrung unter den Unternehmen scheint das zu vermitteln. Noch immer sind die häufigsten Fragestellungen bei Konferenzen wie es das eigene Unternehmen betrifft, wie ich es anwenden kann, oder wo es Sinn macht.

Die eigentliche Frage

Hinter diesen Fragen steht eigentlich etwas anderes, nämlich:

Eigentlich läuft eh alles sehr gut, aber wie kann ich auf den Zug aufspringen ohne dass meine Prozesse zu sehr beeinflusst werden?

Das ist die falsche Einstellung. Hier soll eigentlich nichts geändert, sondern im besten Fall erleichtert werden. Um das zu verstehen sollten wir uns Silicon-Valley-Unternehmen ansehen. Und da ist gleich die erste Bemerkung: die Begriffe digitale Transformation und Industrie 4.0 kennt man hier nur wenn man mit Europäern zu tun hatte. Digital ist hier nämlich ein zentraler Bestandteil der Aktivitäten und nicht etwas nachträglich Angeflanschtes.

Man kann leicht selbst analysieren, ob es den Kern oder nur die Peripherie des Produktes, der Dienstleistung oder des Prozesses darstellt. Stellen wir ein paar Unternehmen aus derselben Branche gegenüber und vergleichen was passiert wenn wir die digitale Komponente entfernt.

Beispiele

Uber: nehmen wir die digitale Komponente weg, dann ist eigentlich das ganze Unternehmen weg. Es besitzt keine Autos, keine Fahrer, keine sonstigen physischen Objekte die den Weiterbetrieb erlauben. Die Uberfahrer wären arbeitslos.
myTaxi: die Taxis können auch ohne App weiterfahren und betrieben werden.

Tesla: ohne digitale Komponente ist das ganze Auto unbrauchbar. Kein Batteriemanagement, kein manuelles und autonomes Fahren, kein Laden der Batterie, keine Wartungsmöglichkeit, nicht mal die Türen würden sich mehr öffnen lassen.
BMW/Mercedes/VW: auch wenn viel digitales für die Fahrzeuge dieser Hersteller notwendig sind, so ließen sich diese doch noch durch Tricks betreiben. Weniger effizient, weniger Umwelt verträglich, weniger performant, aber doch.

Airbnb: auch hier wie schon bei Uber wäre Airbnb, das keine Hotels besitzt und Hotelmitarbeiter beschäftigt, weg vom Fenster.
Hotels: nach wie vor könnten diese Zimmer vermieten, wenn auch mit mehr Aufwand.

Das sind nur ein paar Beispiele. Selbst eine übergestülpte Version der digitalen Transformation verbessert in den meisten Fällen den Prozess oder das Produkt und bringt neue Arten von Informationen. So richtig disruptiv aber wird sie, wenn die digitale Komponente zum Kernbestandteil wird. Damit verändern sich nicht nur Teile, sondern alles. Der Prozess, das Produkt, die Dienstleistung, das Geschäftsmodell, ja selbst in welcher Branche man sich eigentlich befindet. Die Änderung ist fundamental. Doch auf diesen Schritt sind die meisten eigentlich nicht vorbereitet. Die eigene Kernkompetenz wird hinterfragt und im Extremfall nicht mehr benötigt. Und die Verbände und die Bundesregierung sind daran schon gar nicht interessiert.

Setzten Taxibetreiber konsequent die digitale Transformation um, würden sie alle Autos verkaufen und Fahrer entlassen. Setzten die Autobauer die digitale Transformation vollständig um, würden sie zumindest ein Drittel aller Mitarbeiter entlassen (alle in der Motorenproduktion und damit verbundene Teile), machten IT-Leute zu Unternehmensleitern und brächten Batterieexperten an Bord.

Es ist nicht schwer zu bemerken, dass sie das nicht machen werden. Zumindest nicht freiwillig. Und das ist zugleich die Crux mit der digitalen Transformation. Sie ist nichts anderes als dem Bestehenden einen digitalen Anstrich zu geben. Ein Schwein mit Lippenstift zu behübschen, wie die Amerikaner sagen. Das mag für eine kurze Phase reichen, zögert aber die vollständige Transformation unnötig hinaus. Und dann frisst einen das Biest indem die Mitbewerber die den ganzen Weg gingen davon ziehen.

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