Ein mathematisches Modell der Innovation

Inkrementelle und disruptive Innovation sind die zwei gröbsten Unterscheidungen, wie wir Innovation einteilen. Inkrementelle Innovation kommt schrittweise. Darunter fallen beispielsweise die Verbesserung eines Fertigungsprozesses, oder die sukzessive Verringerung der Abgasemissionen eines Verbrennungsmotors. Disruptive Innovation hingegen scheint als ob sie in Sprüngen kommt. Pferdekutschen werden von Autos hinweg gefegt, Film von Digitalkameras, das Handy von Smartphone.

Doch selbst disruptive Innovation kommt nicht aus dem Nichts. Zurecht weisen Kritiker immer darauf hin, dass ein Smartphone ja nicht wirklich eine Innovation war. Der Touchscreen existierte schon länger, auch der Computerchip der in den Smartphones verwendet wird.

Und damit haben sie recht. So wie in der Evolution nicht aus heiterem Himmel der Mensch da war, sondern sich zuerst Leben in einfacher Form hin zu immer komplexeren Organismen bis hin zum Menschen entwickelt hat, benötigt Innovation die zugrunde liegenden Bausteine. Miteinander kombinierte Bausteine wiederum bilden eigen, neue Bausteine, mit denen sich komplexere Objekte bilden lassen. Es lässt sich aber erst dann bilden, sobald die Bausteine vorhanden waren und damit die Möglichkeit schaffen. Und dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis jemand diese Kombination macht. Bereits 1922 haben zwei Forscher 140 Beispiele vorgelegt, wo Innovatoren unabhängig voneinander ein und dieselbe Idee umgesetzt haben. Eine Innovation wird somit fast unvermeidlich.

Dieses Konzept wird als das ‘benachbarte Mögliche‘ bezeichnet, das 2002 vom Komplexitätstheoretiker Stuart Kauffmann vorgeschlagen worden war. Bislang allerdings war dieses relativ neue Konzept schwer zu beschreiben, zumindest mathematisch. Doch das haben nun Vittorio Loreto at Sapienza und seine Kollegen von der Universität Rom geschafft. Zuerst einmal gehen sie dabei von den Möglichkeiten aus, die Innovation haben kann. Ausgehend von eine Punkt gibt es mehrere Möglichkeiten. Die Pfade zu anderen Punkten erlauben die Innovation.

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Dabei ist es für weitere, darauf aufbauende Innovation entscheidend, welche Richtung sie vorher nahm. Es ergeben sich mit der Entscheidung in eine bestimmte Richtung – und die Entscheidung für eine Richtung kann viele Gründe gehabt haben – nun neue Pfade, während andere weniger wahrscheinlich scheinen. Eine Innovation beeinflusst zukünftige Innovationen und macht sie wahrscheinlicher.

Dieses Modell schaffte Schwierigkeiten bei der Modellierung eines mathematischen Ansatzes, will man die Wahrscheinlichkeiten der Innovation eine gleiche Chance zu gestehen. Und hier kommt selbst ein innovativer Ansatz ins Spiel, indem ein weiteres Modell mit dem Modell des ‘benachbarten Möglichen’ kombiniert wird. Und zwar das Pólya Urnen-Modell. Dieses nach dem ungarischen Mathematiker Pólya György benannte Modell kann man in folgender Weise beschreiben:

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Man stelle sich eine mit bunten Bällen gefüllte Vase vor. Nehmen wir an die Bälle sind gleich verteilt und haben ebenso viele rote, blaue und grüne Bälle. Zieht man einen roten Ball und wirft in in die Menge zurück, dann ändert sich nichts. Wenn wir aber den roten Ball gezogen haben, und statt einem nun zwei rote Bälle zurück werfen, dann ändern wir das Verhältnis. Die Wahrscheinlichkeit steigt, dass wir bei der nächsten Ziehung wieder einen roten Ball ziehen. Und so wie vorher dann wieder einen weiteren roten Ball hinzu fügen. Man kann das in diesem Beispiel schön ausprobieren.

Nehmen wir nun aber an, dass wir für jeden gezogenen roten Ball, nicht nur zwei rote Bälle, sondern noch einen rosa und einen gelben Ball reinwerfen, dann ändern sich die Verhältnisse noch stärker, und wir fügen neue Möglichkeiten hinzu.Das passiert auch mit Innovation. Jede Innovation bringt uns neue Möglichkeiten.

Anhand der Kombination vom Modell des benachbarten Möglichen mit dem Pólya Urnenmodell lässt sich Innovation als mathematisches Modell beschreiben. Damit wird Innovation mathematisch vorhersagbar. Und Innovation (etwas ist neu für die Menschheit) sowie Neuigkeiten (etwas ist neu für ein Individuum) lassen sich damit auch beschreiben.

Für uns bedeutet das Spannendes. Nicht nur ein besseres Verständnis wie Innovation entsteht, und wo sie entstehen muss, sondern auch eine mögliche Vorhersagbarkeit von Innovation. Die bis heute uns recht vage erscheinende Natur von Innovation könnte somit greifbarer, vielleicht sogar planbarer werden.

Dieser Beitrag ist auch auf Englisch erschienen.

3 Gedanken zu “Ein mathematisches Modell der Innovation

  1. Interessanter Beitrag.
    Das erklärt auch das Phänomen der Entstehung ganzer Innovations-zentren in Städten. Je unterschiedlicher die Herkunft und je ähnlicher das Motiv zur Veränderung, desto zahlreicher die Ideenschmiede.

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