Nicht zuletzt mit dem Auffliegen von Hollywood-Producer Harvey Weinsteins Verhalten gegenüber Frauen in der Filmindustrie ist die Diskussion um sexuelle Belästigungen auch in Europa angekommen. Die #MeToo-Kampagne bei der Frauen öffentlich ihre eigenen Erfahrungen mit sexueller Belästigung durch Männer öffentlich machten, hat viele Männer überrascht. “Ich hatte ja keine Ahnung” war nur eine von vielen Reaktionen.
Dabei hätten wir es wissen können. Wie oft wird in Männerrunden über körperliche Details von Frauen im Umfeld gesprochen, so als ob das Objekt käuflich erwerbbar und deshalb beurteilens- und begrapschenswert wäre. Das als harmlose “Duschgespräche” oder “Boys will be boys” abzutun ist falsch.
Ist sexuelle Belästigung im Silicon Valley vorherrschend?
Im Silicon Valley begann die Diskussion spätestens mit dem Fall der Venture Kapitalistin Ellen Pao, die bei Kleiner Perkins arbeitete. Sie verklagte die das Unternehmen, nachdem sie von einem Firmenpartner zu sexuellen Handlungen genötigt wurde, mit dem Versprechen, dass ihr das beruflich weiterhelfen werde. Als sie das zur Aufmerksamkeit des Unternehmen brachte, wurde sie entlassen. Den nachfolgenden drei Jahre dauernden Gerichtsfall verlor sie zwar, die Büchse war aber geöffnet. Newsweek brachte dazu eine Coverstory What Silicon Valley Thinks of Women die breiter darüber berichtete.
2017 ging es dann Schlag auf Schlag. Dave McClure von 500 Startups wurde von Start-upgründerinnen beschuldigt und musste zurücktreten. Justin Caldbeck ebenso, sein Investmentfond mit mehreren hundert Millionen Dollar implodierte dadurch sogar. Uber wurde durch den Post einer Ingenieurin beschuldigt, sexuell aggressives Verhalten von Mitarbeitern nicht nur nicht zu verfolgen, sondern durch die aggressive Kultur zu befördern. Uber hat seither ein Scheissjahr erlebt, der im erzwungenen Rücktritt des CEO und Firmengründers mündete. Und jetzt ist der Silicon-Valley-Technologist Robert Scoble der letzte, der sich zu Fall brachte. Auch er wird von mehreren Frauen beschuldigt, sie sexuell belästigt zu haben.
Stellt sexuelle Belästigung oder sexistisches Verhalten im Silicon Valley alles in den Schatten? Ist das gar ein notwendiger Bestandteil um Innovation zu schaffen?
Das ist natürlich Schwachsinn. Wir wollen ein Umfeld schaffen, in dem jede Person, egal welchen Geschlechts, Herkunft, Kultur, sexueller Orientierung oder Lebensstiles ihr Potenzial ohne Angst entfalten kann. Und Innovation lebt von Diversität, sexistisches Verhalten, sexuelle Belästigungen und Belästigungen jeder Art verhindern das.
Wie immer allerdings, wenn ein Thema zu trenden beginnt, kann man den Eindruck gewinnen, es gibt nichts anderes dort als dieses Verhalten. Tatsächlich haben die USA und speziell Kalifornien strenge Gesetze gegen sexuelle Belästigung. Als Manager in einem großen Unternehmen musste ich alle zwei Jahre ein Training zu dem Thema absolvieren, um richtig auf Vorfälle reagieren zu können. Nicht nur lernte ich über die Gesetze und ihnen zugrundeliegenden Fälle,sondern auch das korrekte Verhalten und die Vorgehensweise. Meinen damaligen zwei weiblichen Teammitgliedern vermittelte ich sogleich nach dem Training, an wen sie sich wenden können, wenn so etwas passiert, und dass ich sie dabei unterstützen werde, und nicht nur, weil das Gesetz es so sagt.
Ein Silicon-Valley-Problem?
Das heißt natürlich nicht, dass es sexuell aggressives Verhalten verhindert. Männer in Machtpositionen wissen nur zu gut, wie sie sich jemanden gefügig machen können. Und das ist nicht nur im Silicon Valley so, sondern überall. Warum die Aufmerksamkeit nun auf die USA fällt, ist durch die ausreichend publizierten Fälle der letzten Monate. Silicon Valley, Hollywood, Fox News und nicht zuletzt Donald Trump. Dass die Diskussion passiert sehe ich als positives notwendiges Zeichen. Dass etwas passiert ist, ist aber schlimm genug.
Weil ich immer wieder in Europa bin, kriege ich die Frage nach sexueller Belästigung immer wieder gestellt. Und ob das eben nicht nur hier. Ja ich behaupte sogar, dass dieses Problem in Europa noch stärker vorherrscht, wir aber glauben es sei nicht so, weil vergleichsweise wenig berichtet wird. Meine Erfahrungen der vergangenen Wochen in Europa, wo ich eine Reihe von Vorträgen und Workshops gehalten habe, zeigt, dass man da noch eine Stufe weniger weit ist. Das Problem wird weit weniger erkannt. Wie manche Frauen von Männern in ihrem Umfeld behandelt wurden, fand ich nicht akzeptabel.
Seit eine Delegation aus Europa sich bei ihrem Aufenthalt im Silicon Valley auffällig verhielt und weibliche Gastgeber sich unangenehm fühlten, mache ich keine Ausnahme mehr bei Delegationen. Vor Beginn eines Besuchs wird die Delegation darauf hingewiesen und Fehlverhalten mit Rausschmiss bestraft. In Wien wurde gerade erst der Chefredakteur der Wiener Zeitung fristlos wegen solchem Fehlverhaltens entlassen.
Wie geht man damit um?
Das beginnt mit dem Einschreiten von Männer beziehungsweise jedem der sexuelle Belästigung beobachtet. Es darf von niemanden toleriert werden und Wegschauen macht zum Komplizen. Viel wurde auch dazu bereits geschrieben, wie man vorgehen kann, nicht nur in diesem Blog oder in diesem. Und dann sollten wir darüber reden, wie heute Medien zu dem Thema berichten. Oft wird das in einer auf die Frau – also dem Opfer – fokussierenden Schreibweise getan. “Die Frau wurde vergewaltigt”, “Sie wurde Opfer häuslicher Gewalt” vermitteln das Gefühl, der Frau geschieht das durch eine unbekannte Kraft. Richtiger sollte der Fokus auf den Täter gehen und schreiben was Sache ist: “Der Mann vergewaltigte sein Opfer” und “Der Ehemann prügelte die Frau”.
Es ist noch viel zu tun. Die Tatsache, dass wir eine öffentliche Diskussion haben mach Hoffnung, dass dieses Verhalten unakzeptabel wird und wir uns alle sicherer fühlen können. Die USA und das Silicon Valley sind uns in der öffentlichen Diskussion voraus, es wird Zeit, dass wir auch in Europa das Problem anpacken.
Dieser Beitrag ist auch auf Englisch erschienen.
“Dabei hätten wir es wissen können.” Sehr guter Artikel!