Alphatiere auf Safari?

Vor mehr als drei Jahren betiteltet Die Welt die Besuche deutscher Vorstandsetagen im Silicon Valley mit Alphatiere auf Safari. Die Manager ließen sich hier die Zukunft zeigen, man schmücke sich mit Namen wie Facebook, Apple und Google und eigentlich sei das Silicon Valley so etwas wie der „Ballermann der Tech-Szene“ geworden.

Und in gewisser Weise hat der Artikel ja recht mit seiner Kritik.  Nicht immer sind die Besuche effektiv oder können aus mehreren Gründen nicht wirklich in die Tiefe gehen. Sie geben aber zumindest immer einen gewissen Einblick, der vielleicht dazu beitragen kann, sich selbst besser für die Zukunft aufzustellen.

Ich selbst sehe generell jeden Besuch als etwas Positives. Es kostet Überwindung, sich aus seiner Komfortzone zu bewegen und sich für ein paar Tage teilweise sehr provokanten Ideen und Aussagen auszusetzen, und beinahe schon mit teils neuen, teils unverständlichen Begriffen und Konzepten über- und gefordert zu werden.

Verletzliche Manager

Im Silicon Valley erlebe ich die Manager und Vorstände der heimischen Unternehmen in anderer Form, als es die Allgemeinheit tut. Üblicherweise müssen sie vor den Eigentümern, Aktionären, Mitarbeitern, Kunden und der Öffentlichkeit diejenige Sicherheit ausstrahlen, die anzeigt, dass man alles im Griff habe, die Zukunft verstehe, und entsprechende Strategie und Pläne vorlägen, um das Unternehmen sicher durch stürmische Zeiten zu steuern. Sich da Schwäche oder Unwissenheit einzugestehen, wird als Problem angesehen.

Vor mir hingegen gestehen sie ein, dass sie Schwierigkeiten haben zu erkennen, wohin die Zukunft führt, welche Bedrohung und Chance es gibt, und was sie tun müssen. Sie zeigen sich verletzlich, aufgeschlossen, und an der Zukunft interessiert. Für ein paar Tage sind sie aus dem Routinetrott entlassen und können mehr Zeit an neuen Ideen und Konzepten verwenden, tiefer denken, als die Anforderungen des Alltags es ihnen normalerweise erlaubt. Auch sprechen sie mit Menschen, die oft sehr anders denken, ein völlig neues Mindset zeigen, und ihnen auch respektvoll aber doch offen die Meinung sagen. Das ist erfrischend für die Besucher, die üblicherweise von Ja-Sagern und Höflingen umgeben sind, und Informationen gefiltert erhalten.

Es kann verwirrend sein, die Puzzle-Teile zu verschiedenen Trends zu haben, die keinen Sinn ergeben. Auch wenn ich noch keinen deutschen Vorstand oder Manager getroffen habe, die Englisch nicht ausreichend konnten – das ist heute schon Voraussetzung im Land der Exportweltmeister – so konsumiert man doch daheim vor allem deutschsprachige Medien. Das Problem damit ist, dass die erhaltene Information stark gefiltert und interpretiert vorliegt. Man bewegt sich in Deutschland in seiner eigenen Filterblase. Genau deshalb ist ein Besuch im Silicon Valley aufschlussreich, weil man damit aus dieser Isolation und einem Weg der Interpretation der Information ausbrechen kann, und mit anderen Interpretationen und anderen Informationen konfrontiert wird.

Praxisbeispiel

Ein Beispiel aus meiner eigenen Praxis ist die Entwicklung von selbstfahrenden Autos. Wann immer ich auf Vorträgen in Europa bin und dabei Konferenzen besuchen kann und anderen Vortragenden zuhöre, bemerke ich wie wenig man über den Fortschritt der Entwicklungen im Silicon Valley Bescheid weiß. Während hierzulande von der Einrichtung erster Teststrecken mit dem geplanten Ausbau von digitaler Straßeninfrastruktur, sowie der Arbeit an gesetzliche Vorschriften zur Testerlaubnis berichtet wird, nicht ohne Hinweis, dass es noch einige Zeit dauern wird, fahren in den USA 1.400 autonome Fahrzeuge, davon 800 alleine im Silicon Valley, wobei ganze Bundesstaaten als Testgebiete erlaubt sind. Und zumindest eine Firma – Waymo – fährt bereits ohne Sicherheitsfahrer an Bord im öffentlichen Raum.

Besuche

Ein oder mehrere mehrtägige Besuche im Jahr im Silicon Valley – und zunehmend auch in Shanghai und Shenzhen in China – können einem dabei helfen, diese Filterblase zu durchbrechen und einen Realitätscheck durchzuführen. Wer die Zukunft ernst nimmt, für den ist das keine Safari, sondern ein wichtiger Bestandteil, seine Organisation in die Zukunft zu bringen.

Maßgebend für einen erfolgreichen Besuch ist allerdings die Vorbereitung und eine klare Vorstellung, was man erreichen möchte. Vor allem auch sollte man verstehen, dass die wichtigsten Impulse oft nicht aus den Treffen mit Personen und Firmen aus der eigenen oder den benachbarten Industrien kommen, sondern von scheinbar völlig irrelevanten. Als Faustregel gilt, dass die Hälfte der Treffen mit Personen und Organisation aus nichtverwandten Industrien kommen soll.

Im Amerikanischen gibt es den Satz „monkey see, monkey do„. Insofern ist der Vergleich mit  Alphatieren auf Safari doch nicht so falsch. Nur jemand, der die Zukunft gesehen hat, kann sich auf die Zukunft vorbereiten.

Weiterführende Links

Dieser Beitrag ist auch auf Englisch erschienen.

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