Wirecard: Ein Desaster für den Digitalstandort Deutschland

Jetzt ist es offiziell: Wirecard, Deutschlands digitales Vorzeigeunternehmen musste nach einer beispiellosen Kursrallye Insolvenz anmelden. Auslöser waren 1,9 Milliarden Euro, die auf den philippinischen Konten nicht bestätigt werden konnten. Deshalb hat der vom Wirecardchef Markus Braun eigentlich als Befreiungsschlag gedachte Prüfungsbericht durch KPMG genau das Gegenteil bewirkt.

Damit handelt es sich in der Geschichte des DAX um das erste dort notierte Unternehmen, das Insolvenz anmelden muss. Nach dem Fehlen der 1,9 Milliarden Euro sind weiter zwei Milliarden Euro an Kreditlinie von den Banken fällig gestellt worden.

Den Schaden haben nun die Anleger, die Banken und der Digitalstandort Deutschland. Zuerst einmal ist nichts am eigentlichen Geschäftsmodell von Wirecard auszusetzen. Als Zahlungsdienstleister den Prozess für kleine Händler global zu vereinfachen und sicherzustellen, ist auch das Erfolgsmodell von digitalen Unternehmen wie Square. Haarig wurde es allerdings, als das dem Unternehmen nicht genügte, und es scheinbar zu Manipulationen bei der Ausweisung der Geschäftstätigkeiten gekommen ist.

Die Hintergründe

2015 wies die Financial Times das erste Mal in mehreren Blogs unter dem Titel House of Wirecard auf Ungereimtheiten hin. So stimmten ausgewiesene Positionen in Deutschland nicht mit den in Singapur eingereichten Zahlen überein. Und die Vorauszahlung von Transaktionen Monate im Vorhinein vor Leistungserstellung von finanzschwachen Unternehmen schien unüblich. Auch waren eine Reihe von Transaktionen undurchsichtig. Die Financial Times begann zu vermuten, dass es sich dabei um Scheintransaktionen handeln könnte, die etwas verschleiern sollten.

Das führte – wie zu erwarten – zu Untersuchungen und Klagen von Seiten der deutschen Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht BaFin. Nicht aber gegen Wirecard, sondern gegen die Financial Times, mit Vorwurf der Kursmanipulation. Der Konflikt verschärfte sich über die Jahre, mit weiteren Klagen von Wirecard gegen die Financial Times.

Zwischenzeitlich hat seit 11 Jahren EY als Auditor bis 2019 Wirecard die Bilanzen geprüft und sein Siegel vergeben. Nachdem die Gerüchte und Vorwürfe nicht aufhören wollten, wurde KPMG an Bord geholt, um den Bericht zu machen und die Vorwürfe zu entkräften. Und da stellte sich dann heraus, dass KPMG 1,9 Milliarden an Einlagen auf philippinischen Banken nicht bestätigen konnte. Die involvierten Banken teilten nur mit, dass Wirecard kein Kunde bei ihnen sei und keine Konten besitze.

Die Ernst & Young Implosion

Wie kann es dazu kommen? Wie die Financial Times berichtet, hatten EY-Auditoren bei den Prüfungen in den vergangenen drei Jahren nie an der Quelle direkt Auskunft eingeholt. Ey hatte sich mit Screenshots und Kopien der Einlagen aus dritter Hand zufrieden gegeben. Dabei ist bei Wirtschaftsprüfern das die erste Regel: direkt bei der Bank nach den Einlagen fragen.

Und das erinnert an den Wirtschaftsprüfer Arthur Andersen, der für Enron zuständig gewesen war. Als 2001 klar wurde, dass offensichtliche Manipulationen und Betrug von Arthur Andersen nicht entdeckt worden, sondern sogar uunterstützt worden waren, kollabierte nicht nur Enron, sondern auch Arthur Andersen.

Es ist zwar noch zu früh zu wissen, inwieweit die Mitschuld von Verfehlung bis zu aktiver Beteiligung am Betrug von EY reicht, aber eines lässt sich schon heute sagen: EY wird implodieren. Nicht nur ist die Richtigkeit aller von EY durchgeführten Audits in Frage gestellt, es werden schon alleine aus Eigeninteresse die von EY geprüften Unternehmen Ernst & Young das Mandat entziehen und einem anderen Wirtschaftsprüfer übergeben, um bei den Investoren und Geschäftspartnern selbst nicht das Vertrauen zu verlieren.

Das Versagen der Aufseher

Wie Gabor Steingart berichtet, hat nach den Berichten der Financial Times hat die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung DPR – die „Bilanzpolizei“ – seither drei mal einen Antrag erhalten von der BaFin erhalten, die Wirecard-Bilanzen unter die Lupe zu nehmen. Zuerst die Halbjahresbilanz von 2018, dann die Gesamtjahresbilanz 2018, und dann die Halbjahresbilanz 2019. Diese Überprüfungen wurden nie abgeschlossen.

Stattdessen bemühten sich Wirecard und die Münchner Staatsanwaltschaft, die Financial Times wegen ihrer kritischen Berichte zu Wirecard wegen Kursmanipulation und Verstößen gegen das Wertpapierhandelsgesetz zu verklagen.

Wie schon in der New Economy um die Jahrtausendwende gab es hier ein Systemversagen. Sowohl Aufsichtsbehörden wie auch Wirtschaftsprüfer haben hier grundlegende Regeln und Hinweise missachtet und nicht nachverfolgt. Es ist somit keine Überraschung, dass die deutsche Bundesregierung die Aufsichtsbehörden neu aufstellen muss. Und es wird unweigerlich zu politischen Schuldzuweisungen kommen, die politische Gegner nicht unausgenutzt vorüberziehen lassen werden.

Die Katastrophe für den Digitalstandort Deutschland

Die Insolvenz von Wirecard hat noch eine weitere Auswirkung, die den Digitalstandort Deutschland betrifft, Schon heute sind Deutschland und generell Europa in Sachen digitaler Transformation ins Hintertreffen zu den USA und China geraten. SAP als das wertvollste deutsche Digitalunternehmen und zugleich wertvollste Unternehmen im DAX ist neben Wirecard das einzige prominente andere digitale Unternehmen Deutschlands.

Die Skepsis vor digitaler Transformation zieht sich in Deutschland tief durch die Gesellschaft. Eine Nation, das durch Unternehmen, die „dingliche“ Werte wie Maschinen und Autos produzieren, groß und reich geworden ist, hat Schwierigkeiten, „nichtdingliche“ Werte wie Software, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Big Data oder Blockchain zu verstehen und wertzuschätzen.

Während die wertvollsten Unternehmen in den USA mit Apple, Microsoft, Amazon, Facebook oder Alphabet/Google sind, und mit Apple beispielsweise mehr wert ist, als alle im DAX gelisteten Unternehmen zusammen, fehlen bei uns die Beispiele und Vorbilder.

Gibt es ohnehin schon eine allgemeine Unternehmerfeindlichkeit in der Gesellschaft und Öffentlichkeit, so weht diese Skepsis Gründern digitaler Unternehmen noch stärker ins Gesicht. Mit der Wirecard-Implosion wird diese Situation nicht besser werden. Schon heute wenden Digitalunternehmer viel Zeit und Energie mit der Rechtfertigung vor Skeptikern auf, die ihnen fehlt, in den Aufbau ihrer Unternehmen zu stecken. Das schreckt dann auch Kapitalgeber ab, in solche Unternehmen zu investieren.

Der Wirecard-Betrug, von den Aufsichtsbehörden und Auditoren gefördert, lässt den Kapitalmarkt für digitale Start-Ups und Unternehmen gewaltig schrumpfen. Damit wird der Abstand zu USA und China nicht kleiner werden. Und das ist die eigentliche Katastrophe, die uns Wirecard und die Helferlein eingebrockt haben.

Dieser Beitrag ist auch auf Englisch erschienen.

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