Die Idee, jemanden eine Massenvergewaltigung – oder körperlichen Schaden jederart – zu wünschen, ist nie eine gute. Sie in einem öffentlichen Argument ist eine noch schlechtere Idee. Und genau das hat der Neuköllner Stadtrat Bernward Eberenz gemacht. Wie der Tagesspiegel als erster berichtete, war es zu dieser Fantasie von Eberenz gekommen, als auf Twitter ein Video einer Massenvergewaltigung in Pakistan gepostet worden war, das vom stellvertretende Bundesvorsitzende der Polizeigewerkschaft, Manuel Ostermann, mit der rassistischen Aussage “Was sind das für Affen” kommentiert worden war. Die Autorin Jasmina Kuhnke, die sich als Aktivistin gegen Rassismus und rechte Gruppierungen engagiert und mehrmals Ziel von Online-Attacken eines rechten Mobs – unter denen sich auch immer wieder Polizisten zu befinden scheinen – wurde, hatte darauf mit einem anderen Tweet geantwortet.
Das Polizeiproblem in einem Tweet.
Der Neuköllner Stadtrat, der schon in der Vergangenheit mit radikal Äußerungen etwa zu Schutzsuchenden, dem Islam, der Politik von Bundeskanzlerin Angela Merkel, und mit auf Facebook geteilten Verschwörungsmythen aufgefallen war, antwortete auf Kuhnkes Tweet mit einem eigenen Tweet:

Wie zu erwarten, rief dieser Tweet einige Empörung hervor, die nicht nur den Bezirksbürgermeister von Neukölln, Martin Hikel, zu einer öffentlichen Verurteilung bewegte, sondern auch den Verursacher, Bernward Eberenz, zu einer Entschuldigung nötigte. Zu Letzterem kommen wir gleich später noch.
Jasmina Kuhnke erklärt in einem Tweet auch, warum die Tweets von Ostermann und Eberenz unakzeptabel sind:

Die Entschuldigung von Eberenz, die Struktur, die Wortwahl, den Aufbau und das Wirken sehen wir uns nun genauer an. Die Frage die sich stellt ist nämlich, ob es sich um eine echte Entschuldigung oder eine sogenannte Nicht-Entschuldigung handelt.
1. Warum schreibe ich dazu?
Genau das ist Thema meines im August 2021 erschienenen Buchs Sorry Not Sorry: Die Kunst wie man sich nicht entschuldigt, in dem ich unter anderem 40 Kunstgriffe vorstelle, die in vielen solcher Nicht-Entschuldigungen verwendet werden. Dieses mit Augenzwinkern verfasste Buch hat einen ernsten Hintergrund. Einige Kunstgriffe habe ich bereits mal in anderen Beiträgen vorgestellt, hier aber analysieren wir nun ganz gezielt Bernward Eberenz Pressestatement.
2. Elemente einer Entschuldigung
Gehen wir nun darauf ein, warum wir eine Entschuldigung brauchen, und wie eine ehrlich und aufrichtige gemeinte Entschuldigung auszusehen hat.
Warum brauchen wir eine Entschuldigung?
Die Autoren von „When Sorry Isn’t Enough“, die Psychologin Jennifer Thomas und der Betreuer Gary Chapman, führen an, dass eine Entschuldigung zu Vergebung und Versöhnung führt.
Wenn wir uns entschuldigen, übernehmen wir die Verantwortung für unser Verhalten und versuchen, bei der Person, die beleidigt wurde, Wiedergutmachung zu leisten. Eine aufrichtige Entschuldigung öffnet die Tür zur Möglichkeit der Vergebung und Versöhnung.
Die Logik dahinter zielt auf die Beseitigung eines mentalen Hindernisses ab:
Die unrechtmäßige Handlung steht wie eine Barriere zwischen den beiden Menschen und die Beziehung ist zerrüttet. Sie können, selbst wenn sie wollten, nicht so leben, als wäre das Unrecht nicht begangen worden.
Welche Elemente sollte eine Entschuldigung haben?
Der amerikanische Verhaltensforscher David P. Boyd kam auf sieben aufeinanderfolgende Schritte, die er als die Kunst einer öffentlichen Entschuldigung bezeichnet:
- Offenbarung
- Erkennung
- Reaktionsfähigkeit
- Verantwortung
- Gewissensbisse
- Rückerstattung
- Reform
In den ersten beiden Schritten wird man gewahr, dass Mist passiert ist und dass eine Entschuldigung fällig wird. Im dritten Schritt soll dann möglichst rasch und unverzüglich die Entschuldigung folgen, in der Verantwortung für das eigene Handel (oder Unterlassen) übernommen wird, man sich zerknirscht zeigt, Wiedergutmachung verspricht und Handlungen setzen, um in Zukunft solche Missgeschicke zu vermeiden.
Somit sind wir gerüstet, um zu verstehen, wie eine ehrlich gemeinte Entschuldigung auszusehen hat.
3. Eberenz “Entschuldigung” in der Analyse
In einem ganz kurz gehaltenen Pressestatement drückte Bernward Eberenz folgendes aus:
Sehr geehrte Damen und Herren,
vergangenen Samstag habe ich auf Twitter in einem Moment großer innerer Aufgebrachtheit eine völlig inakzeptable Äußerung getan. Es liegt mir absolut fern, irgendjemandem Gewalterfahrungen welcher Art auch immer zu wünschen!
Dass dieser Eindruck entstanden ist, bedaure ich zutiefst und bitte dafür in aller Form um Entschuldigung.
Bernward Eberenz
Bezirksstadtrat für Umwelt und Natur
Ist das nun eine Entschuldigung? Sehen wir uns dazu den ersten Satz des Statements an. In diesem bekennt er, dass er eine inakzeptable Aussage getroffen hat. Das fällt unter die Kategorie “Es ist etwas passiert“. Nur legt er dafür einen Grund nach. Das fällt unter den 6. Kunstgriff: Es ist etwas passiert, aber aus gutem Grund. Der Grund sei seine innere Aufgebrachtheit, die, wie er damit impliziert, doch nur “verständlich” sei. Vor allem – und das können wir uns vermutlich ergänzend denken – wenn die Provokation der inneren Aufgebrachtheit von einer Person wie Jasmina Kuhnke – Frau, dunkelhäutig, nicht aufs Maul gefallen – kommt. Für jeden, der so denkt wie Eberenz ist das nur ein Zeichen, dass er auch nur Mensch sei, und damit seine Reaktion nur menschlich. Und das ist der 22. Kunstgriff: Es ist passiert, aber ich bin auch nur ein Mensch. Eberenz sei sozusagen “eh ein ganz lieber, menschlicher Kerl”.
Sehen wir uns nun den zweite Teil an. “Dass dieser Eindruck entstanden ist, bedaure ich” (der ‘Eindruck’ nach dem Wunsch nach einer Massenvergewaltigung) schreibt er. Ach, gibt es etwa eine andere Interpretation die der Tweet “Vielleicht braucht diese Person mal ein vergleichbares Erlebnis, um zu begreifen, WO das Problem liegt!” mit Bezug auf ein Video einer Massenvergewaltigung hat? Eine lustige Swingerparty? Massenaustauch von Körperflüssigkeiten zwischen zustimmenden Partnern? Oder doch das was dieses Video darstellt: eine Massenvergewaltigung?
Die Wortwahl mit “Dass dieser Eindruck entstanden ist, bedaure ich…” bedauert nur den Eindruck, der entstanden sei – und ihn sozusagen ins schlechte Licht rücken würde – nicht aber dass er tatsächlich jemanden eine Massenvergewaltigungwünscht. Und das wird im 17. Kunstgriff: Die Leute sind einfach zu sensibel zusammengefasst und erklärt.
Nach der Logik: “Wäre Kuhnke nicht bloß so sensibel und gleich so hysterisch und würde sich nicht wegen allem aufregen, dann wäre der Tweet doch eh OK“.
Er besagt mehr oder weniger, wenn die Leute nicht solche Sensiberln wären, dann wäre der Eindruck bei ihnen nicht entstanden. Oder in einem anderen Beispiel: Wenn ein Man spricht und keine Frau hört ihm zu, hat er dann immer noch unrecht?
4. Conclusio
Es wird aus der Analyse klar, dass es sich hier um keine Entschuldigung handelt. Es werden mehrere Kunstgriffe angeführt, die die Entschuldigung nicht nur abschwächen, sondern gegensteuern. Auch fehlen mehrere Elemente der anfangs vorgebrachten Kunst der Entschuldigung. Gewissensbisse scheint Bernward Eberenz nur zu haben, weil er öffentlich beschämt wurde, so beschämt, dass er sogar seinen Twitteraccount gelöscht hat. Er trifft keine Aussage zu einer Wiedergutmachung, oder was er ändern möchte, damit das in Zukunft nicht mehr geschieht. Nur weil in seinem Pressestatement das Wort “Entschuldigung” vorkommt, ist es noch lange keine Entschuldigung.
Apropos Entschuldigung: vom stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Polizeigewerkschaft, Manuel Ostermann, der mit der rassistischen Aussage “Was sind das für Affen” das Ganze erst ausgelöst hatte, liegt nach wie vor keine Entschuldigung für seinen rassistischen Tweet vor. Das fällt unter die erste Kategorie “Nichts ist passiert“, und den 1. Kunstgriff: Bloß nicht entschuldigen und beinhart aussitzen.
Und hier nochmals das seit August 2021 erhältliche Buch, das 40 Kunstgriffe der nicht-Entschuldigung und 8 besondere Kunstgriffe vorstellt erscheint.