Darf ich dir Max vorstellen? Gerade erst hat er seinen ersten Geburtstag gefeiert. Er ist nicht nur ein süßer Wichtel, er ist auch die letzte Person die einen Führerschein machen wird.
Unmöglich? Nicht zu meiner Lebzeit?
Ich muss gestehen, dass ich geschwindelt habe. Ich weiß nämlich nicht, ob Max der letzte Führerscheinneuling sein wird. Es könnte Sofie sein, oder Sebastian. Diese Person kann in Deiner Nachbarschaft leben. Aber eines ist sicher: die letzte Person die einen Führerschein machen wird ist bereits auf der Welt. Und das Tempo der Technologieentwicklung und jüngste Ankündigungen bestätigen das.
Digitale Bewerber
Alleine die kalifornische Verkehrsbehörde DMV hat 13 Lizenzen für den Test von selbstfahrenden Autos auf öffentlichen Straßen ausgestellt. Google hat 58 Testfahrzeuge auf den amerikanischen Straßen im Einsatz, was 80 Prozent aller registrierten Testfahrzeuge darstellt. Google hat bereits die beeindruckende Zahl von 2,6 Millionen an autonom gefahrenen Kilometern gesammelt, wobei jedes Monat zwischen 16.000 und 25.000 Kilometer hinzukommen. Das sind insgesamt 90 Prozent aller Testkilometer in Kalifornien, die von autonomen Fahrzeugen erfahren werden. Und das zusätzlich zu den fast 5 Millionen Testkilometern die Google pro Tag am Simulator fährt, gemäß dem Januarbericht des Unternehmens.
Tesla wiederum hat offengelegt, dass die Model S Kunden seit Oktober 2015 bereits 160 Millionen Kilometer im Autopilomodus fuhren. Elon Musk ließ vor kurzem auch mit der Aussage aufhorchen, dass Tesla zwei Jahre vor der Verfügbarkeit von vollautonomen Fahrzeugen steht. Uber und Baidu sind nur zwei weitere digitale Unternehmen, die an selbstfahrenden Fahrzeugen arbeiten.
Die Technologie schreitet rasch voran. Vergleicht man die gefahrenen Kilometer mit der Anzahl an Unfällen, dann sieht man, dass die Fahrzeuge bereits so sicher sind wie menschliche Fahrer. Von 12 Kollisionen die Google-Fahrzeuge auf den 2.6 Millionen Kilometern hatten, waren gerade mal zwei die Schuld der Google-Fahrzeuge. Die Autos hatten somit alle 220.000 Kilometer; das entspricht der Rate von menschlichen Fahrern.
Traditionelle Hersteller
Die bereits seit einiger Zeit am Steuer schlafenden Autohersteller wurden durch die Aktivitäten von Google & Co aus dem Schlaf gerüttelt. Nun versuchen sie den Vorsprung der Neueinsteiger einzuholen, indem sie selber Entwicklungsprogramme aus dem Boden stampfen. Honda, Mercedes, Audi, Ford oder General Motors, alle haben sie Testfahrzeuge und kaufen Technologiestart-ups oder schließen mit ihnen Partnerschaften ab, wie GM oder Fiat. Selbst Zulieferer wie Bosch haben Testlizenzen für selbstfahrende Fahrzeuge. Des weiteren hat BMW angekündigt den Schwerpunkt seiner i-Serie zu selbstfahrenden Autos zu ändern. Ab 2021 sollen diese dann für Kunden verfügbar sein.
Singularität
Gemäß Ray Kurzweils Abhandlung zu Singularität werden wir eine exponentielle Entwicklung der benötigten Rechenpower und Künstlichen Intelligenz für selbstfahrende Fahrzeuge sehen. Konservative Schätzung die sich auch eine lineare Steigerung verlassen mögen rascher hinfällig sein, als erwartet, weil digitale Technologien in der Vergangenheit vor allem einem exponentiellen Wachstum folgten.
Andere Mitspieler
AUTOSAR, eine Systemarchitektur für die Standardisierung von elektronischen Steuereinheiten in Fahrzeugen, wird 2018 in der Version 4.4 alles beinhalten um autonomes Fahren von der elektronischen Komponentenseite her zu ermöglichen. Steuereinheiten mit diesem Standard werden dann ab 2020 in alle neuen Fahrzeuge der AUTOSAR-Mitglieder verbaut werden. Und die Mitgliederliste umfasst alle wichtigen Hersteller, inklusive BMW, Ford, GM, Daimler, Volkswagen oder Volvo.
Auch die Entwicklung der Sensortechnologie schreitet rasch voran, und die Preise verfallen rasch. Moderne Autos sind bereits heute mit hunderten Sensoren ausgestattet, darunter Radar, Kameras, GPS und Beschleunigungsmesser. Preise von neuen Sensoren wie Lidar werden von zigtausenden auf wenige hundert Dollar in nur wenigen Jahren fallen.
Technologieanalysten von Vision Systems Intelligence haben eine beeindruckende Liste an Firmen zusammengestellt, die Lösungen für autonome Fahrzeuge entwickeln und anbieten. Mehr als 200 Firmen arbeiten daran – und wenn wir die Trends aus anderen trendigen Industrien darauf umlegen – dann können wir eine groß Zahl weiterer Unternehmen erwarten.
Während die technologischen Komponenten um ein Auto sicher zu machen wichtig sind, könnten Versicherungen und Regulierungsbehörden den Umschwung beschleunigen. Berücksichtigt man, dass 94 Prozent aller Unfälle durch menschliches Versagen verursacht werden, dann werden mit einer zu erwartenden Verringerung der Unfallrate durch selbstfahrende Fahrzeuge deren Versicherungsraten runtergehen, während sie für menschlich Fahrer raufschnalzen. Obwohl heute eine Mehrheit der Fahrer nach wie vor skeptisch ist die Kontrolle einer Maschine zu übergeben, wird sich das ändern, sobald sie ein selbstfahrendes Fahrzeug selbst erlebt und die erhöhten Versicherungsgebühren für manuelles Fahren gesehen haben. Die Regulierungsbehörden werden folgen; bis 2030 werden manuelle gesteuerte Fahrzeuge entweder verboten oder auf eigens für ausgewiesene Strecken verwiesen werden.
Der letzte Fahrer
Angesichts alle dieser Fakten, der Anstrengungen der Industrie und die Mittel die von ihnen eingesetzt werden, sobald Max (oder Sofie oder Sebastian) im Jahr 2031 ihren 16. Geburtstag feiern, werden sie keinen Führerschein mehr machen müssen oder machen dürfen. Vor allem wenn wir die schlechten Fahrstatistik dieser Altersgruppe ansehen. Und sie werden den Führerschein vermutlich auch gar nicht machen wollen. Das amerikanische Verkehrsministerium DOT registriert schon seit Jahren eine Verringerung der Führerscheinneulinge bei Jugendlichen, ein Trend der sich auch in anderen Ländern bemerkbar macht.
All diese Entwicklungen bringen uns zurück zur frage: was ist die eigentliche Aufgabe eines Autos? Nicht jemanden “Freude am Fahren” zu vermitteln, oder “Freiheit” wie es uns Autohersteller weismachen wollen. Autos lösen auch nicht ein Mobilität- oder Transportproblem. Autos sind Connectoren. Sie helfen uns mit Menschen, Plätzen, oder Gütern zu verbinden. Der größte Konkurrent zum Connector befindet sich bereits in unseren Hosentaschen, nämlich das Smartphone.
Während in der Vergangenheit Jugendliche sich darum stritten, wer der Fahrer sein darf, streiten sie sich heute darum, wer der Fahrer sein muss. Die Passagiere können mit ihren Smartphones connected blieben, der Fahrer hingegen nicht. Dieser muss sich ja auf die Straße konzentrieren. Ein selbstfahrendes Fahrzeug erlaubt allen in allen Modi verbunden zu bleiben: virtuell und in der Wirklichkeit.
Und deshalb werden Max (oder Sofie oder Sebastian) gar keine Begeisterung zeigen, wenn sie den Führerschein machen. Deshalb werden sie die letzten sein die zur Führerscheinprüfung antreten werden.
Dieser Beitrag erschien in Englisch auf TechCrunch.
2 Gedanken zu “Der letzte Führerscheinneuling”