Der letzte Führerscheinneuling kommt rascher als man denkt. Rief mein Beitrag auf TechCrunch (und hier auf Deutsch) vor zwei Monaten noch ungläubiges Staunen und Reaktionen wie “nicht solange ich lebe” hervor – und das trotz all der angeführten Fakten die mir bei der Recherche zu meinem kommenden Buch Der letzte Führerscheinneuling untergekommen sind – so werden selbst diese Szenarien von der Wirklichkeit überholt und kommen schneller im Alltag an als erwartet.
In dieser Woche überschlugen sich nämlich die Ereignisse und Meldungen zu selbstfahrenden Fahrzeugen. Am Dienstag kündigte Ford-CEO Mark Fields bei einem Besuch in Palo Alto für 2021 selbstfahrende Autos an. Und nicht nur selbstfahrende Fahrzeuge. Als erster der großen OEMs sollen bei den Ford-Fahrzeugen keine Lenkräder und Pedale drin sein. Das ist eine radikale Ankündigung und unterscheidet sich von deutschen Herstellern, die zwar auch Selbstfahr-Initiativen haben, aber noch nicht vom Lenkrad los wollen.
Kaum war diese Meldung verdaut schlägt Uber mit gleich zwei Ankündigungen zu. Zuerst kündigt man die Akquisition des gerade erst aus dem Stealth-Mode gekommenen und auf selbstfahrende LKWs spezialisierten Google-Spinoff Ot.to an (hier ein Video eines Ot.to-LKWs in freier Wildbahn in Palo Alto). Die Otto-Technologie soll übernommen und integriert werden und der Ot.to-CEO die gesamte Selbstfahrinitiative bei Uber leiten. Der Kauf des gerade mal ein paar Monate alten Start-ups soll um kolportierte 680 Millionen Dollar vor sich gegangen sein. Bei weniger als 100 Mitarbeitern und einem bisher aus Eigenmitteln finanzierten Start-up bedeutet das 7,5 Millionen pro Kopf und Nase.
Und gleich im selben Atemzug verkündet Uber, dass ab diesem Monat selbstfahrende Ubers in Pittsburgh von Kunden benutzt werden können. Zwar werden in den selbstfahrenden Volvos nach wie vor Fahrer drinnen sitzen, um eingreifen zu können, aber Uber-Kunden können damit schon heute selbstfahrende Autos als Passagiere erleben, und das in der Testphase sogar gratis. In Pittsburgh testete Uber bereits seit einigen Monaten seine Selbstfahrprototypen und ließ seine Mappingfahrzeuge herumfahren, um die Straßen genau zu scannen, damit entsprechende Straßenkarten für die autonomen Ubers erstellt werden können. Die Zusammenarbeit mit Volvo und die Verwendung von Volvo XC90 SUVs war vor einigen Monaten beschlossen worden. Dabei bestellte Uber 100 Volvo-Fahrzeuge, die mit Kameras, Lasern, Radar und hochpräzisem GPS ausgestattet sind. Eine Handvoll davon wurden jetzt geliefert. Der Rest der Fahrzeuge soll bis Ende des Jahres bereit gestellt werden.
Auch Apple, Google, Here und andere haben Flotten an Mappingfahrzeugen auf den Straßen, um präzise Straßenkarten zu kartographieren. Neben den für uns bisher verwendeten Karten werden auf diesen hochpräzisen Karten Gebäude, Hydranten, Bäume und jede Menge weiterer Details erfasst die es selbstfahrenden Autos ermöglichen soll besser zu navigieren und Hindernisse zu umgehen. Auch das GPS-Signal das bis zu 3 Meter Abweichung bringt muss auf eine Genauigkeit von mindestens 10 Zentimeter gebracht werden.
Einige Hersteller verwenden dafür Lidar-Systeme wie Google oder Ford. In den Hersteller Velodyne haben Ford und der Chinesische Internetkonzern Baidu ebenfalls diese Woche 150 Millionen Dollar in einer gemeinsamen Investition gesteckt. Der in Palo Alto beheimatete Hersteller Velodyne erzeugt sogenannte “solid-state” Lidars bei denen es keine beweglichen Teile gibt und die mit wenigen hundert Dollar viel billiger sind als die von Google eingesetzten bis zu 70.000 Dollar teuren Lidars.
Während die meisten Hersteller mit Testlizenzen zum autonomen Fahren – und davon gibt es in Kalifornien gleich 14 – mit eigenen Testfahrzeugen und Mitarbeitern darin herumfahren, verwendet Uber ähnlich wie Tesla oder Comma.ai vom enfant terrible George Hotz einen anderen Ansatz um die Technologie voranzutreiben: sie crowdsourcen die Anstrengungen. Jedes Uberfahrzeug heute kann durch die Smartphones der Fahrer Informationen sammeln. Comma.ai bietet mit seinem Projekt chffr eine Smartphone-App an, mit der Teilnehmer Videos von ihren Fahrten aufnehmen und so zur Sammlung von Fahrverhalten beitragen. Tesla wiederum sammelt mit dem Autopiloten, der bereits von mehreren tausenden Tesla Model S-Kunden eingesetzt wird, Informationen zu Fahrverhalten und Straßenbedingungen weltweit. Hunderte Millionen an Kilometern wurden bereits vom Autopilot auf diese Weise innerhalb kurzer Zeit zurückgelegt. Verbesserungen durch die von allen Autopilotkunden gesammelten Daten fließen wiederum an all Kunden zurück und machen den Autopiloten sukzessive zuverlässiger.
Kein Wunder, dass Ingenieure die selbstfahrende Autos bauen können momentan hohe Nachfrage verspüren. Nur gibt es von ihnen viel zu wenig. Es kommt zu einer regelrechten Abwerbungsschlacht zwischen den Unternehmen und selbst Giganten wie Apple sind vor Verlusten nicht gefeit. Der iPhone-Hersteller, der Gerüchten zufolge mit seinem Projekt Titan über eintausend Mitarbeiter an einem selbstfahrenden Elektroauto – dem iCar – arbeiten hat, verlor gerade seinen eigenen Topingenieur in diesem Bereich an den chinesischen Elektrofahrzeughersteller Faraday Future. Da kommt es gerade recht, dass der Selbstfahrpionier und ehemalige Leiter des Google X Self-Driving Car-Programms Sebastian Thrun auf seiner Online-Lernplattform Udacity ab dem Winter einen Ingenieursabschluß für Selbstfahrende Autos anbietet. Auf dem Highway 101 im Silicon Valley sind die Plakatwände voll mit den Ankündigungen des Onlinekurses.
Wo ist Deutschland? BMW hat angekündigt den Fokus seiner i-Serie verstärkt auf autonomes Fahren zu verschieben. Mercedes testet seit Jahrzehnten selbstfahrende Fahrzeuge, beschränkt sich aber zumeist darauf Konzeptfahrzeuge wie den F015 zu zeigen. Oder lässt sich feiern, dass ein Mercedes-Autobus in den Niederlanden einmal 20 Kilometer autonom zurückgelegt hat. Zum Vergleich: das fahren die Google-Fahrzeuge vor dem Frühstück jeden Tag, insgesamt 25.000 Kilometer jedes Monat. Audi wiederum baut zwar das schnellste selbstfahrende Fahrzeug das 250 Stundenkilometer erreicht, hält sich aber auch zurück. Zu groß ist die Angst der deutschen Hersteller ein Risiko einzugehen und mit einem Unfall seine Reputation einzubüßen. Und gleichzeitig steckt man zu sehr im Glauben, dass auch in Zukunft jeder noch selbst fahren möchte. Das zeugt von der Selbstselektion der Mitarbeiter. Wer arbeitet bei einem Autohersteller? Jemand der selber gerne Auto fährt. Und damit übersieht man die Trends und aktuelle Stimmung bei der Kundschaft.
Angesichts der Tatsache, dass sich die notwendige Expertise im Autobau nicht mehr um das Blechbiegen dreht, sondern um Software und dem Verstehen von Künstlicher Intelligenz tut die Abwesenheit deutscher Unternehmen und Forschungseinrichtungen in diesen Bereichen ziemlich weh. Deutschland verschläft diese Disruption und es wird noch zu einem bösen Erwachen kommen. Wenn die Uber- und Ford-Schlagzeilen diese Woche nicht endlich aufschrecken, was dann? Dann hat es Deutschland verdient, dass seine Automobilindustrie verschwindet. Ein Sektor der in Deutschland erfunden wurde findet damit sein Ende. Und zuzuschreiben hat man sich das nur selbst.