Die Theorie der disruptiven Innovation, die von Harvard-Professor Clayton Christensen entwickelt worden war und er in seinem Buch The Innovator’s Dilemma beschrieb, hat wie keine andere Einfluss auf das Verständnis von der Funktionsweise von Innovation. Wieso scheitern führende Unternehmen mit vorhersagbarer Regelmäßigkeit daran, disruptive Innovation vorherzusehen und zu treiben?
Kein Wunder, dass sie immer wieder Gegenstand von wissenschaftlichen Untersuchungen ist. Wie genau funktionieren solche Disruptionen und wie ist damit das Schicksal großer Unternehmen vorhersagbar? Haben sie wirklich keine Chance disruptive Innovation zu überleben?
Das MIT publizierte nun eine Studie, die näher auf Disruptionen aus verschiedenen Industrien einging, um quantitative Zahlen zu erhalten. Dabei wurde auf 77 Unternehmen eingegangen, die Christensen in seinen Werken beschrieb, und von denen ich hier bereits in separaten Beiträgen eingegangen bin.
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Vier Schlüsselelemente zur disruptiven Innovation
Die Studienautoren identifizierten dabei vier Elemente, die für disruptive Innovation bestimmend sind:
1. Die Marktführer entwickeln Innovation entlang eines Pfades
Innovation findet hier vor allem als ‘aufrechterhaltende Innovation‘ (‘sustaining innovation’), bei der die Marktführer ihr Produkt in wenigen Dimension verbessern. Der Diesel wird um ein paar Prozentpunkte effizienter, die Wartezeit um einige Sekunden verkürzt, der Ausschuß verringert. Gute Manager bemühen sich darum mit etwas besseren Produkten etwas mehr Gewinnmarge von gerade-noch-nicht-zufriedenen Kunden herauszuholen.
2. Die erhaltende Innovation führt zu einer Übererfüllung von Kundenanforderungen
Diese Bemühungen führen dazu, dass der Wert dieser Produkte für die meisten Kunden nicht mehr vollständig nutzbar sind. Die Anforderungen in bestehenden Markt werden übererfüllt.
3. Die Marktführer haben die Ressourcen auf eine Entwicklung zu reagieren, scheitern aber dabei
Aus mehreren Gründen verpassen die Marktführer die Gelegenheit auf disruptive Bedrohungen zu reagieren. Obwohl sie die Ressourcen und Fähigkeiten haben auf disruptive Mitbewerber zu reagieren, so werden diese oft unterschätzt, weil sie selten die gewinnträchtigsten Kunden der Marktführer für sich gewinnen, sondern zuerst die Kunden am unteren Ende des Segments. Desweiteren sind die Produkte und Services der Neueinsteiger scheinbar weniger gut als die der Marktführer. Die Disruptoren werden somit von den Managern der Marktführer nicht als Bedrohung betrachtet. Als gutes Beispiel dienen die Kompaktstahlwerke.
Ausnahmen bestätigen die Regel. Nicht immer greifen Neueinsteiger im unteren Kundensegment an und arbeiten sich hoch. Uber beispielsweise griff die Taxi-Industrie von oben an, Tesla im Premium-Segment.
4. Die Marktführer scheitern an der Disruption
Die Neueinsteiger verbessern ihre Produkte sukzessive und übernehmen damit von den Marktführern nicht nur die bestehenden Märkte, sondern schaffen auch neue. Mit anfänglich einfacheren Produkten arbeiten sich die Disruptoren langsam vom unteren Marktsegment nach oben bis letztendlich die Marktführer verdrängt werden.
Was meinen die Experten dazu?
Die MIT Studienautoren interviewten Experten aus den verschiedenen Bereichen zum Thema und kamen dabei zu teilweise unterstützenden, teilweise widersprechenden Ergebnissen.
1. Nicht in allen Fällen war eine aufrechterhaltende Innovation vorhanden
In 31 Prozent der Fálle zweifelten die Experten an der Existenz von aufrechterhaltender Innovation im betroffenen Unternehmen. Teilweise hatten die Beteiligten ihre Werkzeuge und Methoden seit Jahrzehnten nicht verändert oder verbessert.
2. Nicht in allen Fällen entstand eine Übererfüllung von Kundenanforderungen
Eine überraschend hohe Anzahl an Fällen – 78 Prozent – enthielt keine Übererfüllung von Kundenanforderungen. Die Gründe für Änderungen lagen eher an den Kosten (von handgezeichneter Animation zu Computeranimation), die Gründe für die Nichtübererfüllung lag teilweise daran, dass die Kunden das Angebot sofort ausnutzten (z.B. Übertragungsgeschwindigkeiten)
3. Viele Marktführer waren unfähig auf die Disruption zu reagieren
In 39 Prozent der Fälle waren die Unternehmen gar nicht richtig aufgestellt, um auf eine bevorstehende Disruption zu reagieren, in manchen Fällen waren die Marktführer durch regulatorische Bestimmungen darin eingeschränkt.
4. Ein Drittel der Marktführer wurden nicht durch neue Technologie weggefegt
Während 62 Prozent Marktführer das Opfer durch Disruptoren mit ihren neuen Technologien wurden, so durchgingen 38 Prozent einen anderen Pfad. In manchen Fällen ergänzten die Innovation bestehende Technologie oder koexistierte und erlaubte neue Kundensegmente zu erreichen.
Schlußfolgerung
Die Schlußfolgerung aus der von Christensen angeführten Beispiel ist, dass gerade mal 7 von den 77 Fallbeispielen von allen vier Elemente betroffen waren.
Managern von Marktführern wird empfohlen, mehrere Faktoren zu betrachten:
- Zahlt sich der Kampf um die Marktführerschaft aus?
- Welche bestehenden Ressourcen und Fähigkeiten können eingesetzt werden?
- Ziehe die Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen in Erwägung
Die Fallbeispiele können Inspiration geben, sie ersetzen aber nicht das kritische Denken und die Analyse des eigenen Falles. Auch machen sie harte Entscheidungen nicht leichter, oder ersetzen sie.
Dieser Beitrag ist auch auf Englisch erschienen.