1922 stellten zwei Forscher der Columbia Universität eine Liste an 140 Erfindungen und Entdeckungen zusammen, bei denen die Erfinder, unabhängig voneinander, ohne voneinander zu wissen, in unterschiedlichen Ländern oder sogar auf unterschiedlichen Kontinenten, dieselbe Erfindung oder Entdeckung innerhalb einer kurzen Periode gemacht hatten
Am selben Tag im Jahr 1876 an dem Alexander Graham Bell ein Patent für das Telefon einreichte, reichte ein anderer dasselbe Patent ein paar Stunden später ein – im selben Patentbüro. 1745 und 1746 erfanden sowohl Ewald Georg von Kleist und Pieter van Musschenbroek die elektrische Batterie. Josef Ressel, John Ericsson, Francis Pettit Smith, David Bushnell und Robert Fulton erfanden unabhängig voneinander und in innerhalb einer kurzen Zeitspanne den Propeller.
Wie kann es sein, dass diese Leute auf dieselbe Idee zur selben Zeit kommen? Tatsächlich sollte die Frage anders lauten: warum haben nicht mehr Leute dieselbe idee? Eine Idee kommt ja nicht aus dem Blauen. Ein technologischer Durchbruch oder eine Erfindung ‘liegen in der Luft.’ Und das hat mit den zugrundeliegenden Bausteinen und dem Konzept das wir das ‘benachbarte Mögliche’ nennen zu tun.
Bausteine
Alles beginnt mit den verfügbaren Bausteinen. Als 2007 das iPhone angekündigt wurde, gab es viele die es nicht als innovativ anerkannten. ‘Was ist neu daran?’ Alle Technologien gab es bereits. Touchscreen, Handynetzwerk, Computerchip, Betriebssystem, App Store, Kamera, Apps, Abonnementmodell. Keines dieser Elemente war für sich neu.
Aber es waren genau die Bausteine die das iPhone erst möglich machten. Dass jemand diese Element kombinieren und ein neues Gerät schaffen würde, war nicht eine frage des ‘Ob’, sondern des ‘Wann’. Einige hatten es bereits probiert. Nokia und Blackberry hatten Versionen mit einigen dieser Bausteinen geschaffen. Aber ihre Anstrengungen hatten entweder das falsche Timing, Ambition oder Funktionalität.
Und das ist der wesentliche Unterschied. Die wahre Leistung eines Erfinders ist das Finden der richtigen Kombination zur richtigen Zeit mit den bereitstehenden Bausteinen. Viele Kombinationen und Anstrengungen scheitern. Thomas Edison benötigte tausende Versuche um die richtige Kombination von Bausteinen zu finden, die uns die Glühbirne brachten. Eine der wichtigsten Charaktereigenschaften von Erfindern ist Entschlossenheit.
In der Natur finden wir dasselbe. Von den chemischen Elementen als Basisbausteinen (lassen wir mal Atome, Neutronen, Elektronen, Quarks und so beiseite) ausgehend, führte die Kombination der Elemente zu neuen Bausteinen. Kombiniert man Wasserstoff mit Sauerstoff ergibt sich Wasser. Dieses ist eine Voraussetzung anderen Molekülen – lies: Bausteinen – sich wiederum zu kombinieren. Die Anzahl der Bausteine erhöht sich. Von knapp über 100 heute bekannten Elementen kommen wir auf hunderte Millionen an organischen und anorganischen Materialien in unterschiedlichen Zuständen.
Diese bringen uns auch hunderte Millionen an Kombinationen die nicht erfolgreich oder stabil sind. Die ersten organischen Moleküle brachten uns Zellen, die wiederum kombiniert uns letztendlich zum Menschen führten. Und Millionen von Spezien in den hunderten Millionen Jahren an Evolution verschwanden auch wieder.
Aber wir können nicht vom einfachen organischen Molekül direkt zum Menschen kommen. Quasi aus dem Stand von der ersten Kohlenwasserstoffverbindung zum Homo Sapiens. Das ist ein Prozess, der die Kombination und Rekombination von einfachen zu immer komplexeren Bausteinen geht. Dieses Prinzip wird als das ‘benachbarte Mögliche’ bezeichnet. Wir können uns das so vorstellen, als ob wir von einem Raum in den nächsten durch Türen flanieren. Nehmen wir ein Haus mit tausenden an Zimmern, dann können wir nicht einfach eine Abkürzung vom ersten in den hundertsten Raum nehmen. Wir müssen zuerst durch die dazwischenliegenden 98 anderen Räume gehen.
Lego ist ein gutes Beispiel. Was mit einer Handvoll an unterschiedlichen geformten Legobausteinen begann, ist nun ein Universum an Steinen die jedem Legofan fast unendlich viele Legomodelle erlaubt. Ich erinnere mich an die beschränkte Zahl an Bausteinen die mir in meiner Kindheit zur Verfügung standen und fühle mich etwas überfordert, wenn ich mir all die heute erhältlichen Bausteine ansehe.
Zukunft
Heute verfügbare Bausteine geben uns einen Vorgeschmack darauf, welche Technologien wir in der Zukunft haben werden. Zumindest die der nächsten fünf bis zehn Jahre. 2006 waren alle Bausteine um das iPhone möglich zu machen bereits da. Es erforderte keine große Einsicht oder hellseherische Fähigkeiten um es vorherzusagen. Tatsächlich war es sogar schon viel früher vorhersagbar, wie wir im nächsten Absatz erkennen können.
1999 schrieb David Gerrold den folgenden Beitrag über einen PITA für die “Zukunft der Computer” in einem Technologiemagazin. Das von der er hier fabuliert, kennen wir heute als das Smartphone und der aktuelle Skandal um die Datenweitergabe von Facebook und Cambridge Analytica. Eine Überraschung? Nicht wirklich, wie wir schon gelernt haben. Aber trotzdem müssen wir seine so früh gekommene Weitsicht anerkennen.
Mögliche Zukünfte vorhersagen wird damit zu einer Übung, bei der man besser verstehen lernt, wie heutige Technologien und Geschäftsmodelle aus unterschiedlichen Industrien aussehen, wie man sie kombinieren kann, wie Menschen sie verwenden und welche Probleme sie damit lösen werden.
Der Fehler den Experten zu machen tendieren ist ihr Wissen aus ihrem eigenen engen Umfeld und Industrie zu ziehen. Obwohl Technologien und Modelle hier auch auftauchen können, werden sie oft als irrelevante Einzelsignale abgetan.
Dabei ist eines immer einfach vorherzusagen: sobald Bausteine verfügbar sind, werden Menschen sie mit anderen Bausteinen verbinden. Das benachbarte Mögliche beschreibt bereits heute die Zukunft.
Ein Gedanke zu “Lego und wie man die Zukunft vorhersagt”