Dort wo die zarten Knospen sprießen, scheinen Bäume am empfindlichsten zu sein. Manche Baumsorten die sich in Wäldern zu nahe kommen vermeiden den Kontakt mit ihren Artgenossen. Im Schirm bilden sich Abstände zwischen den einzelnen Baumkronen, die wie Kapillaren wirken. Das Phänomen tritt nicht bei allen Baumarten auf. Buche und Esche scheinen besonders sensibel zu sein und halten Abstand, Linden gingen schmiegen sich aneinander.
Warum sich die Baumkronen nicht berühren – es zu diesem Phänomen der ‘Baumkronenschüchternheit’ kommt – darüber sind sich Forscher nicht ganz einig. Es kann einerseits ein Schutz vor Schädlingen sein, denen ein Übergreifen von einem Baum auf den nächsten schwerer gemacht wird, andererseits aber mit der Sensibilität der Zweigspitzen, die durch Wind aneinander gerieben werden und so zum Abstand zwischen den einzelnen Baumkronen führen.
Berührungsängste oder Infektionsschutz, was auch immer es ist, dieses Naturphänomen scheint eine Metapher für ein Unternehmensphänomen zu sein. Nämlich warum es vielen etablierten Firmen so schwer fällt, innovativ zu sein.
Innovation, die aus einer Abteilung erste zarte Knospen treibt, wird von anderen Abteilungen auf Abstand gehalten. Sie gefährdet den Status Quo und die eingefahrenen Prozesse. Sie bringt Unruhe ins System. Innovation wird als Schädling gesehen, der auf auf Armlänge zu halten ist.
Was nur dann die volle Kraft entfalten kann, wenn alle Abteilungen zusammen arbeiten, bleibt auf sich allein gestellt. Ohne sich mit anderen Abteilungen verzahnen zu können, bleibt die Innovation beinahe chancenlos. Sie kann sich nicht ausbreiten und bleibt im besten Fall auf ihren schmalen Bereich reduziert, im schlechtesten Fall verwelkt sie.
Auch wenn es weh tut, Innovation zu umarmen, macht das Unternehmen gegen Gefahren von außen widerstandsfähiger. Schüchternheit ist an dieser Stelle falsch. Es ist besser die Linde nachzuahmen als die Esche.
Dieser Beitrag ist auch auf Englisch erschienen.
Ein Gedanke zu “Innovationsschüchternheit”