Totschlagargumente für Anfänger

Am 9. Juni 2022 erscheint mein augenzwinkernder Ratgeber Totschlagargumente für Anfänger: Wie Sie erfolgreich jede Diskussion im Keim ersticken. Darin lernen wir in 50 Kunstgriffen und 5 Bonuskunstgriffen, wie man das Übel der Welt – die Idee – schon im Ansatz erstickt, ihr den Garaus macht und damit keine Wellen schlägt, die unser Boot in Unruhe bringen.

Als Beispiel möchte ich den 32. Kunstgriff: Mach es zum individuellen Problem des Gegenübers zum Vorgeschmack vorstellen.

32. Kunstgriff: Mach es zum individuellen Problem des Gegenübers

Lernen’S ein bissl Geschichte, dann werden’S sehen, Herr Reporter, wie in Österreich sich das damals im Parlament entwickelt hat. – Bruno Kreisky

Wenn uns die Berufswelt eines lehrt, dann nämlich, dass das Aufzeigen von Problemen zumeist immer für denjenigen ein Problem wird, der darauf hinweist. Meistens trifft es die jungen, unerfahrenen Mitarbeiter, die sich profilieren möchten und in der nächsten Besprechung sich einen Tagesordnungspunkt sichern. Wo bislang jeder andere um das Problem herumgearbeitet hat, ohne dass es jemanden juckte, will hier nun ein Übermotivierter Wellen erzeugen.

Übermotivierte(r): „Wir haben hier ein Problem!“

Ist man in Amerika, dann reden wir selbstverständlich nicht von Problemen. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten klingt das Wörtchen „Problem“ doch zu negativ, stattdessen nennen wir sie „Herausforderungen“.

Amerikanischer Übermotivierte(r): „Wir haben hier eine Herausforderung!“

Wir auch immer, die Reaktion darauf ist immer eine Frage, und zwar in einer Form wie dieser:

Chef: „Wer kümmert sich darum?“

Oder verfeinert und erweitert:

Chef: „Wer ist schuld daran? Wer kümmert sich darum?“

Solch eine Frage lässt bei den Anwesenden alle Alarmglocken schrillen und ihre Reaktion würde Meeresbiologen erstaunen. Auf die Frage folgt ein Phänomen, das bisher nur bei Kraken beobachtet wurde: es ändern sich die Haut- und Haarfarbe der Untergebenen, selbst die Kleidung nimmt den Farbton der Büroeinrichtung an, für einen Moment erstarren alle und werden somit unsichtbar, perfekt mit der rauen Natur der Bürowildnis verschmolzen. Doch nur einer Person gelingt das nicht: dem Überbringer des Problems. Als ob der eiserne Blick des Vorgesetzten die Fähigkeit unsichtbar zu werden völlig lahmgelegt hat. Hat man noch Glück im Unglück, dann wird man nur zum Kümmerer gemacht:

Chef: „Herger, kümmern Sie sich darum!“

Hat man wirklich Pech, dann wird man auch zum Schuldigen gestempelt:

Chef: „Herger, sie sind gefeuert. Aber zuerst kümmern Sie sich noch darum!“

Eine verfeinerte Variante ist die, das Gegenüber zum Verursacher des Problems zu machen. Es wäre ja kein Problem gewesen, wenn diese Person sie nicht aufgebracht hätte. Wenn wir den Eindruck vermitteln können, das Gegenüber sei irgendwie krankhaft von diesem Problem besessen, umso besser.

Der frühere österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz versuchte diesen Kunstgriff anzuwenden, als ein paar – also ein bisschen mehr als ein paar, nämlich 300.000 – SMS-Meldungen von den Korruptionsbehörden beschlagnahmt worden waren, die einen ungefilterten Einblick in die Mauscheleien zwischen Kurz und anderen politisch Beteiligten boten. Bei manchen der Meldungen konnte man sich des Gefühls nicht erwehren, man lausche hier den intimen Flüstereien von Beteiligten an einem Rudelbumsen.

Für die Korruptionsbehörden war das eine Steilvorlage und sie erhob gleich mehrere Anklagen. In den Abendnachrichten versuchte Kurz zu retten, was zu retten ist. Den Moderator Martin Thür, der nicht nachließ und ihn wiederholt zu den strafrechtlichen Vorwürfen befragte, beschuldigte Kurz daraufhin, dass er ihm diese Vorwürfe mache (ORF ZIB2 vom 6. Oktober 2021):

Thür: „Machtmissbrauch, Umgang mit den Medien, das erinnert Sie nicht an die Situation damals mit Ibiza?“

Kurz: „Aber was konkret werfen Sie mir nun vor?“

Das ist ein geschickter Schachzug. Kurz lenkte damit die Aufmerksamkeit der Zuseher auf die scheinbare krankhafte Obsession des Moderators, dem sein Leben wohl sonst so wenig zu bieten hat, dass er nun wie besessen Vorwürfe gegen ihn erfinde. Er macht damit nicht die Vorwürfe zum Problem, sondern die Person Thür.

Diesmal allerdings funktionierte dieser Kunstgriff nicht. Ohne zu Zögern parierte der Moderator den Hieb und kehrte ihn um:

Thür: „Ich werfe Ihnen gar nix vor, die Staatsanwaltschaft wirft ihnen auf 104 Seiten gemeinsam mit neun anderen Personen mehrere Dinge vor.“

Wenn es dazu kommt, müssen wir eskalieren. Auf zur nächsten Stufe!


Auf den Geschmack gekommen? Das Buch gibt es bei Amazon, beim Verlag direkt oder in jeder guten Buchhandlung.

Kommentar verfassen