Mit KI zur politischen Schönheit

Dass Menschen einen Hang zur Eitelkeit haben, ist keine Neuigkeit. Denn schon in der römisch-katholischen Kirche wird unter den sieben Todsünden “Superbia”, also Stolz, Hochmut und Eitelkeit gleich als die erste genannt. Gehindert hat das bislang aber niemanden, sich gelegentlich besser und schöner darzustellen, als man/frau in Wirklichkeit war. Dating-Websites und soziale Medien machen das deutlich. Ein paar Zentimeter kleiner als auf Tinder angegeben? Doch etwas “Schönheitsherausgefordert”?

Die Pandemie, bei der wir auf einem Schlag alle zuhause sitzen mussten und das Gut-anziehen und das Schönmachen in den Hintergrund geriet, hat dem aber auch keinen Einhalt geboten. Zoom, Snapchat, Teams oder Tik Tok hatten plötzlich alle Schönheitsfilter im Portfolio. Einige überlagerten das eigene Gesicht im Video mit Makeup, andere hingegen gingen soweit, dass man die Person plötzlich nicht mehr erkannte. Es war eine digitale Schönheitsoperation.

Wir wissen aus unzähligen Studien, dass attraktivere Personen, und bei Männern die Körpergröße, zum beruflichen Erfolg beiträgt. Diese Tatsache ist so wichtig, dass er auch einen eigenen Namen erhalten hat. Der Halo-Effekt. Attraktivere Menschen erhalten einen Vorschuss, der ihnen helfen kann. Man betrachtet sie als sympathischer, klüger, erfolgreicher und entsprechend tendiert man sich gegenüber einer attraktiven Person auch zu verhalten.

Auch vor der Politik macht das nicht Halt. Denn attraktivere KandidatInnen findet man vielleicht sympathischer und verzeiht ihnen einige Ungereimtheiten in ihren politischen Standpunkten. Mit anderen Worten: Schönheit zahlt sich bei Wahlen aus. Und jede Generation hat neue Technologien zur Verfügung, die ihr dabei helfen, den Halo-Effekt für sich wirken zu lassen. Konnten früher gutes Makeup, geschickte Ausleuchtung und ein talentierter Fotograf Wunder vollbringen, wenn man ein Porträtfoto für den Wahlkampf benötigte, so schafft das heute künstliche Intelligenz.

Speziell Bold Glamour, ein Schönheitsfilter, den Tik Tok Anfang 2023 eingeführt hatte, zog Diskussionen nach sich. Unrealistische Schönheitserwartungen würden da geweckt, wenn plötzlich jede graue Maus wie ein Hollywood-Filmstar aussehen konnte, meinten kritiker. Die Manipulation erkennen konnte ein Gegenüber nicht, so gut war diese KI-basierte Manipulation.

Auch die Politik hat das für sich entdeckt. Oder, genauer gesagt, zumindest eine Kandidatin für den französischen Senat. Juliette de Causans, die für eine Splittergruppe von Präsident Emmanuel Macron in den Ardennen antritt, ähnelte auf Wahlkampfplakaten nicht mehr wirklich ihrem wahren Ebenbild. Nicht nur erschien die über 40-jährige viel jünger, auch ihre Gesichtsfarbe, ihr Haar und eigentlich ihr ganzes Gesicht sahen ganz anders aus. Hier eine Gegenüberstellung der Plakate für die eigene Urteilsbildung:

Die Reaktionen kamen rasch und waren gnadenlos. Ein Kommentator auf Instagram meinte:

Sie führen die Wähler mit Ihrem Wahlkampffoto in die Irre. Das ist erbärmlich, ich werde nicht mehr für Sie stimmen. Kehren Sie zurück in die Ardennen, wir haben etwas Besseres verdient.

Ein anderer war etwas zynischer:

Sie sehen in der Tat ganz anders aus als Ihr Wahlkampffoto, Sie fangen direkt mit Lügen an, das ist schön.

De Causans selbst reagierte trotzig auf die Kritik an ihren retuschierten Bildern:

Es ist mein Recht als Kandidatin, ein schönes Foto zu haben. Haare, Make-up und Beleuchtung, das ist nicht dasselbe.

Und sie hat ja recht. Es ist nicht dasselbe, wenn da ein digitaler Zwilling als Vertreter Wahlkampf für einen selbst führt. Wir schicken ja auch zu unseren Dates immer ein digitales Body- und Gesichtsdouble hin. Wir haben ein Recht darauf! Und vor allem: wenn es alle tun, warum nicht auch De Causans? Denn sie war nicht allein gewesen, noch weitere Kandidatinnen aus ihrer politischen Splittergruppe hatten KI für sich genutzt.

Die Plakate der drei Kandidatinnen von Egalité Europe Ecologie bei den im April abgehaltenen Nachwahlen für das Parlament der Auslandsfranzosen.

Und der Druck, schön zu sein ist groß. Es wird fast als Recht gesehen, nur von schönen Menschen umgeben zu sein. Vor zwei Jahren beschäftigte die französische Öffentlichkeit die Aussagen des Schriftstellers und Publizisten Fabien Lecoeuvre, der sich über das Aussehen der französischen Sängerin Hoshi empört und davon gesprochen hatte, dass Frankreich weniger hässliche und mehr schöne Leute in Funk und Film bräuchte.

Mehr hat er nicht gebraucht. Für den Slam-Poeten Grand Corps Malade war das ein gefundenes Fressen, der daraus gleich einen Song mit dem Titel “Des gens beaux” (“Die schönen Leute”) komponierte und dichtete.

Wir warten nun darauf, dass wir etwas Ähnliches zu Juliette De Causans hören. Passend wäre sicherlich ein von einer KI komponierte Song, der Schönheitsfilter in der Politik thematisiert. Und wenn wir schon mit KI Bilder echter Politiker manipulieren, warum nicht gleich Politiker vollständig durch KI ersetzen? Schlechter kann unsere Politik wohl nicht mehr werden – dafür aber sicherlich schöner.


Zu künstlicher Intelligenz habe ich nun mein zweites Buch geschrieben, und dieses erscheint im November 2023. Darin gehe ich auch auf solche Schönheitsfilter und Deep Fakes ein, und was ChatGPT und autonome Autos für uns als Gesellschaft und Menschheit bedeuten werden. Der Titel: Kreative Intelligenz: Wie ChatGPT und Co. die Welt verändern werden.

Kommentar verfassen