Der Firmenflüsterer – Reflektionen nach 10 Jahren Selbständigkeit

Im Oktober sind es zehn Jahre, dass ich mich nach 15 Jahren in einem großen Unternehmen mich von dort verabschiedete und selbständig machte. Auch mit allem Auf und Ab, das seither nicht zu vermeiden war, war das die beste Entscheidung, die ich damals treffen konnte. Und während viele meiner ehemaligen KollegInnen mittlerweile die Rente in Sichtweite haben, habe ich das Gefühl, es hat bei mir erst begonnen.

Dabei war meine Vorstellung der Selbständigkeit eine ganz andere, als sie sich letztendlich für mich ergeben hat. Dachte anfänglich, ich werde vor allem als Berater tätig sein, entwickelte es sich in einer Art, die ich so vorher nicht kannte und die ich erst vor kurzem selbst besser verstand. Nicht nur ich kämpfte damit, auch meine Nichten und Neffen fragen mich jedes Mal, was ich denn nun wirklich machen würde. Sie sehen immer meine Bilder aus dieser und jener Stadt, und meinen, ich sei auf Dauerurlaub, dabei sind das die Standorte der Firmen, die mich einladen. Dieser Artikel entstand beispielsweise in Paris, und damit man nicht gleich meint, ich lebe zu glamourös, ich schrieb ihn, während ich in einem Waschsalon saß, um meine Reisewäsche zu waschen.

Selbst viele Unternehmer und Manager, denen ich bei unterschiedlichen Gelegenheiten treffe, sehen mich verwundert an, wie ich denn “mein Geld verdienen würde”. Was also ist meine genaue “Berufsbezeichnung”?

Zuerst Mal stehen auf meiner E-Mail-Signatur Technologietrendforscher und Autor, denn das ist es, was ich mache. Ich fokussiere mich auf Technologietrends, die ich im Silicon Valley, meinem Lebensmittelpunkt seit 22 Jahren, sehe und die ich interessant finde, und schreibe dazu Sachbücher. Mittlerweile ist deren Zahl (ohne den Übersetzungen) auf 20 gestiegen. Das letzten Buch bisher heißt Kreative Intelligenz, das im Herbst 2023 erscheinen wird. Mit dem Schreiben von Büchern selbst verdient man nicht wirklich das große Geld, speziell nicht mit Sachbüchern. Diese sind mehr meine Visitkarte, und zeige damit, dass ich mich zu einem Thema eingearbeitet habe, dieses als Deutschsprachiger einem ebensolchen Publikum näher bringe, dabei die Silicon-Valley-Sicht mitbringe und ein bisschen die deutsche Blase durchstoße.

Mein Geld verdiene ich vor allem mit Vorträgen, Workshops und der Betreuung von Delegationsreisen ins Silicon Valley. Und meine Aufgabe kristallisierte sich für mich in folgenden vier Kategorien heraus:

  1. als Aufrüttler
  2. als beim Einordnen Helfender
  3. als Wegweiser
  4. als Hoffnung Gebender

Mir fiel sehr rasch auf, dass viele der Trends – und davon kommen viele aus der San Francisco Bay Area und breiten sich rasch auch nach Europa aus – nur beschränkt in Europa richtig eingeschätzt werden. Besonders deutlich wurde mir das zum ersten Mal bei Themen wie Elektroautos – man denke an Tesla – und dem autonomen Fahren. Beide Themen sind besonders für Deutschland (und Österreich) wichtig, weil es sich um die Disruption einer für diese Länder bedeutenden Industrie handelt. Und noch immer, sechs Jahre nach Erscheinen meines Buches Der letzte Führerscheinneuling…, haben nicht alle in dieser und den benachbarten Industrien die Bedeutung verstanden.

Da also rüttle ich auf, versuche die Technologien zu beschreiben, wie auch die Konsequenzen auf die Branchen, die Wirtschaft, die Gesellschaft und die Jobs. Und diese Erkenntnisse sind nicht immer einfach zu verdauen, denn sie können das bisherige Selbstverständnis dauer- und schmerzhaft verändern.

Bei einem weiteren, hochaktuellen Thema erkenne ich, wie überfordert viele sind, dieses richtig einzuordnen und die Bedeutung für das eigene Unternehmen zu verstehen. Ich spreche natürlich von künstlicher Intelligenz, das von einem Nischenthema von Nerds nun selbst am Stammtisch und in Kabarettsendungen besprochen wird. Bei der Schwierigkeit es zu verstehen kann ich mitfühlen, denn es fühlt sich wirklich an, als ob wir alle “aus einem Feuerwehrschlauch trinken” würden, wie die Amerikaner so schön sagen. Wir ertrinken an Neuigkeiten, Begrifflichkeiten und Bedrohungsszenarien, so dass man sich am liebsten verstecken würde.

Deshalb helfe ich dieses Thema zu sortieren, richtig einzuordnen, und die Angst davor zu nehmen, damit sich die Unternehmen auf die guten Fragen konzentrieren können.

Mag man das Thema dann verstanden haben, heißt es noch lange nicht, dass man nun weiß, wo es lang geht. Und dazu helfe ich bei der gemeinsamen Erarbeitung von Szenarien und Überlegungen, aber auch mit dem Aufzeigen von Verhaltensweisen und dem Sprachduktus, die beim Weg in die Zukunft helfen können. Dazu zählt aktuell auch immer für die Mutigen, die mich im Silicon Valley besuchen, eine Fahrt in einem fahrerlosen Robotaxi. Danach wird der Weg viel klarer.

Das vielleicht mir am wenigsten bislang klar gewesene Wirken meiner Arbeit ist die eines Motivators. Wie ein Coach oder Flüsterer motiviere ich weniger Einzelpersonen, als vielmehr ein ganzes Unternehmen. So als ob sich dieses auf meiner Couch befindet. Gelegentlich befinden sich Unternehmen in Phasen, in denen sie etwas niedergeschlagen und ihrer selbst nicht sicher sind. Sie mögen durch Entlassungswellen gegangen sein, fühlen sich wenig “sexy”, sind ein bisschen ratlos, aber doch auf der Suche. Und da reicht ein Verweis auf die Geschichte des Unternehmens, in der man nicht zum ersten Mal durch unruhige Zeiten zu navigieren hatte.

Es gibt auch das Gegenteil: Unternehmen, denen es zu gut geht, und die keine Notwendigkeit sehen, sich zu ändern oder auf Trends zu reagieren. Die glauben sie seien super aufgestellt und dabei wenig Ahnung zu neuen Trends haben, und sie teilweise auch bewusst ignorieren. Denen muss ich ein Memento Mori zuflüstern, wie schon im alten Rom beim Triumphzug eines siegreichen Feldherren ein Sklave mit einem Lorbeerkranz hinter ihm herging, und, um ihn nicht den Triumph zu Kopfe steigen lassen, ihm ins Ohr flüsterte „Bedenke, dass du sterben wirst.

Die Frage die ich diesen Unternehmensführern zuflüstere, lautet

Wirst du das Unternehmen deiner Vorfahren in die Zukunft bringen, oder wirst du der sein, der das Licht ausschaltet?

Und diese Aufgabe ist für mich erst nach zehn Jahren so richtig klar geworden: ihnen das Memento Mori zuflüstern, und ihnen auch den Weg in die Zukunft zu weisen.

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