Es war der dritte Pitch den ich hörte, während ich als vorgeblicher Risikokapitalgeber im Akzelerator in San Francisco diente. Aber diesmal war meine Reaktion anders. Nach einem Viertel der Zeti hatte ich aufgehört dem Startupgründer zuzuhören. Nicht, weil der Pitch langweilig gewesen war, sondern weil er in einem Nebensatz etwas gesagt hatte das der Idee eine völlig andere, disruptive Dynamik geben hätte können.
Ich bin nicht ein richtiger Risikokapitalgeber (oder Venture Capitalist = VC) und der Startupgründer war kein wirklicher Startupgründer. Wir hatten eine deutsche Delegation aus der Möbelbranche zu einem Besuch im Silicon Valley. Sie waren gekommen um innovative Startups und Firmen zu besuchen, und die Woche fand ihren Abschluss im Runway Akzelerator auf der Market Street in San Francisco, im selben Gebäude in dem Twitter seine Firmenzentrale hatte. Einige der Tourteilnehmer hatten einen Pitch zu einer Startupidee vorbereitet und wollten ihn ausprobieren und Rückmeldung dazu erhalten.
Obwohl die Ideen allesamt nicht schlecht waren und mit ein bisschen Herumfeilen vermutlich erfolgreich sein könnten, hatte doch keine der Ideen disruptives Potenzial. Bis dieser eine Nebensatz im dritten Pitch erwähnt wurde. Axel (der vorgebliche Startupgründer) hatte eine Idee präsentiert, bei der Transparenz das Schlüsselelement sein sollte. Und zwar sollte den Endkunden aufgeschlüsselt werden, wie nachhaltig die Möbel im Angebot sind und wie die Preisfindung funktioniert. In diesem Nebensatz nach zwei Minuten erwähnte er, das “oft ein und dasselbe Möbelstück durch sechs verschiedene Vertriebskanäle mit sechs verschiedenen Markennamen und zu ebenso vielen Preisen verkauft wird.” Und diese Bemerkung ließ meine Gedanken fliegen!
Axel und die anderen Vortragenden kamen alle aus der Möbelbranche und arbeiteten dort in verschiedensten Positionen. Alle ihre Ideen – während sie alle vorgaben dem Endkunden zu dienen – hatten tatsächlich vor allem die Vorteile für die Möbelunternehmen im Auge. Das größte Problem dabei war die Händler und Hersteller auf die Plattformen und Marktplätze zu kriegen und sie davon zu überzeugen, dass der Aufwand gerechtfertigt ist und ihnen Geld machen wird. Diese Ideen waren ja alle gut, aber nichts anderes als klassische Geschäftsansätze die innerhalb der Regeln und Rahmenbedingungen spielten.
Schafft man aber eine Plattform die sich Preistransparenz als Ziel setzt und den Kunden zeigt welches Produkt von einem Hersteller und verschiedenen Markennamen und Preisen vertrieben wird – das ist wirklich disruptiv. Das würde dem Endkunden wirklich dienen, und du kannst sicher sein dass die Hersteller und Händler diese Art von Transparenz so gar nicht wollten. Sie würden das Startup mit Klagen eindecken, dessen Geschäftspartner mit Verträgen und Klagsdrohungen knebeln, und mehr Datenschutz verlangen um nur ja nicht diese Praxis aufgezeigt zu kriegen. Und genau dieses Problem hat die Modeindustrie schon heute wo Hersteller die gleichen Kleidungsstücke unter verschiedenen Labels und Preisen vertreiben und wo sich Plattformen genau darum kümmern, diese Praxis für den Endkunden sichtbar zu machen, sodass sie weniger bezahlen müssen und trotzdem qualitativ hochwertige Ware zu finden.
Angesichts der Tatsache dass diese Praxis nicht nur in der Modeindustrie und Möbelbranche üblich ist, sondern auch in der Nahrungsmittelbranche oder pharmazeutischen Industrie, stellte sich die Frage welche anderen Industrien auch diese Praxis haben? Und diese Frage würde eine solche Transparenzplattform aus der Möbelbranche hinaus auch in anderen Industrien interessant machen. Als Risikokapitalgeber will ich genau von solchen Potenzialen hören. Die Geschäftsmöglichkeiten explodieren plötzlich ins unermessliche.
Warum hatten sie nicht diese disruptive Idee?
Warum war diese Gruppe an nicht selbst auf diese disruptive Idee gekommen? Weil sie alle aus der Möbelbranche kamen. Obwohl sie alle die Industriepraxis kannten waren sie (unbewusst) vorsichtig um den anderen nicht auf die Zehen zu steigen und die Geschäftsbeziehungen zu gefährden.
Deshalb kommt Disruption oft von außerhalb einer Industrie. Die Startupgründer die eine Industrie nachhaltig verändern haben oft keinerlei Beziehungen und Hintergründe aus der Industrie, aber sie sehen ein disfunktionales Element und greifen es an. Die Musikindustrie wurde durch Leute von außerhalb der Industrie zerstört. Die Napster-Gründer kamen von der Softwareindustrie und hatten keinerlei Beziehungen zur Musikindustrie. Dasselbe gilt für die Gründer der Musikstreamingplattform Spotify. Diese kamen von der Videospiel- und Softwareindustrie, ohne irgendwelche Verbindungen zur Musikindustrie.
Die Uber-Gründer kamen ebenso wenig aus der Transportbranche oder dem Taxigewerbe und deshalb nahmen sie sich des dringendsten Problems an. Und all das ohne die Taxiindustrie zu fragen oder rein zunehmen. Dasselbe spielt sich gerade in der Automobilindustrie ab. Die Gründer der Firmen mit dem größten Disruptionspotenzial kommen alle von außerhalb der Automobilbranche. Google, Tesla, Apple, Betterplace stammen aus dem Softwarebereich oder der Elektronikindustrie. Sie erkennen die Probleme – wie sie auch die Brancheninsider sehen – aber sie haben den Vorteil nicht zu wissen wie schwierig es sein könnte, das Problem zu lösen. Insider wissen das und packen es deshalb nicht an.
Ebenso geschieht das innerhalb von Firmen. Stell dir vor du arbeitest für einen Automobilhersteller und du hast eine Idee für ein Elektrofahrzeug. Du würdest sofort starken Widerstand von (den oft mächtigen) internen Abteilungen spüren, die den Motor bauen, die Abgasanlage, das Getriebe, oder den Fahrwerkrahmen. Die ersten vier Abteilungen würden überflüssig werden, deren über Jahre aufgebautes Wissen und Expertise würde ein Fall für den Mülleimer werden. Und das erklärt warum firmeninterne, disruptive Innovation oft scheitert oder gar nicht gewagt wird. Es muss jemand von außen kommen, dem diese Feinheiten, ungeschriebenen Gesetze und Sensibilitäten nicht bekannt sind, sie ignoriert und das Problem anpackt.
Diese disruptiven Ideen spielen mit den Regeln, hinterfragen und verbiegen sie. Mytaxi, die deutsche Taxibestellapp, hat nur innerhalb der Bestimmungen gespielt, und das größte Problem dort war die Taxiunternehmer dazu zu kriegen mitzumachen. Uber wiederum hat sich einen Scheiß um die Taxiunternehmer gekümmert und verbiegt die Regeln.
Schlussfolgerung
Die einfachste Art zu verstehen ob deine Idee disruptiv ist oder nicht ist eine Liste mit den Abteilungen, Branchen, und Firmen zu erstellen, die über deine Herangehensweise so erbost sind, dass sie dich verklagen werden oder mit allen möglichen Mitteln zu stoppen versuchen. Je mehr Klagsdrohungen du erwartest oder erhältst, desto disruptiver ist deine Idee.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Englisch auf EnterpriseGarage.io.
Ein Gedanke zu “Woran erkennt man eine disruptive Idee?”