Clayton Christensens drei Arten von Innovation

In seinem mittlerweile als Innovationsbibel gehandelten Buch The Innovators Dilemma hat Harvard-Professor Clayton Christensen in den 1990er Jahren zum ersten Mal die Gründe analysiert, warum etablierte Unternehmen Innovationskraft verlieren und von Neueinsteigern überrumpelt werden. Tatsächlich stellte er fest, dass zwischen 50 und 80 Prozent der führenden Unternehmen einer Generation in der einer Disruption folgenden Generation nicht mehr unter den Top 10 Unternehmen sind.

Arbeitsplatzverluste in einer Wirtschaftskrise
Arbeitsplatzgewinne nach einer Wirtschaftskrise

Seine jüngsten Forschungen haben Clayton Christensens Fokus auf Wirtschaftskrisen und Arbeitsplatzverluste gebracht. Dabei studierte er die zehn vergangenen Wirtschaftskrisen beginnend beim Jahr 1948 bis zur letzten 2008 und wie lange es dauert bis die Wirtschaftskennzahlen und Beschäftigtenzahlen wieder auf dem Niveau vor der Krise sind. Die Arbeitsplatzverluste der sieben Wirtschaftskrisen von 1948 bis 1981 brauchten im Durchschnitt sechs Monate um wieder wett gemacht zu werden. Das heißt nach einem halben Jahr befanden sich die Beschäftigungszahlen wieder auf dem Niveau vor der Wirtschaftskrise.

Das änderte sich aber ab 1990. In dieser Wirtschaftskrise dauerte es 15 Monate um auf denselben Stand der Beschäftigung zurückzukehren. 2001 waren es dann schon 39 Monate. Und als er im Jahr 2013 den Vortrag hielt der im Video unten festgehalten ist, waren bereits fast 70 Monate seit dem Beginn der Wirtschaftskrise von 2008 vergangenen, ohne dass die Beschäftigtenzahlen den Vorkrisenstand erreicht hatten.

Christensen bezeichnete dieses Phänomen als “jobless recoveries”, also wörtlich als “arbeitsplatzlose Wirtschaftserholung”. Er fragte sich dabei, was die Hintergründe davon sind. Warum wuchsen bis 1981 die Beschäftigtenzahlen nach einer Krise wieder, und warum bei den jüngsten Krisen nicht mehr? Wo sind diese verlorenen Jobs hin?

Er machte dabei die Entdeckung, dass es drei Arten von Innovation gibt. Die erste ist die sogenannte aufbauend wirkende Innovation (empowering innovation), die Arbeitsplätze schafft indem sie die Menschen zu neuen Tätigkeiten ermächtigt. Als Beispiel führt er die Einführung des Ford Model T ein. Bevor es dieses Auto gab waren Automobile eher als Spielzeug der Reichen angesehen worden. Mit dem Model T konnten auch breitere Bevölkerungsschichten sich einen Wagen leisten und für Tätigkeiten einsetzen, die ihnen mehr Wertschöpfung  in anderen Bereichen gestatteten. Dabei werden viele neue Arbeitsplätze geschaffen.

Die zweite Art von Innovation ist die aufrechterhaltende Innovation (sustaining innovation). Als Beispiel führt er Toyotas Prius und Camry-Modelle an. Gute Innovation wie der Toyotay Camry wurde um die bessere Innovation Prius ersetzt und ergänzt. Dabei werden einige neue Arbeitsplätze geschaffen.

Die dritte Art von Innovation ist die Effizienzinnovation (efficiency innovation). Diese passiert wenn Produktionsprozesse schlanker gemacht werden, weniger Material verbraucht wird, höhere Durchsätze bei weniger oder gleichbleibenden Beschäftigungszahlen geschafft werden. Diese Art von Innovation vernichtet Arbeitsplätze.

Stellt man diese Arten von Innovation den Auswirkungen auf Arbeitsplätzen und Kapital entgegen, dann ergibt sich das in der folgenden Tabelle dargestellte Bild:

 Aufbauend wirkende Innovation  Aufrechterhaltende Innovation  Effizienzinnovation
 Arbeitsplätze  schafft viele  schafft wenige  vernichtet
 Kapital  bindet  beschränkt gebraucht  setzt frei

In der Vergangenheit herrschte zwischen diesen Arten von Innovation ein Gleichgewicht. Alle drei existierten gleichwertig und der Kapitaleinsatz und -gewinn in einem Bereich wurde in den anderen Bereichen ebenso verwendet. Ab dem 1980er Jahren allerdings wurde Wirtschaft ein eigener wissenschaftlicher Zweig mit seiner eigenen Sprache und Methodologie. Plötzlich wurden Ratios (Verhältniskennzahlen) und Ähnliches eingeführt. Ziel war es die Kapitalknappheit in Angriff zu nehmen und Kapital in der am meisten Ertrag bringenden Form einzusetzen. Die berühmte Exceltabelle wurde mit Wirtschaftskennzahlen gefüttert und gestandene Firmenchefs von jungen Wirtschaftsabsolventen in Investmentfirmen plötzlich nach diese Ratios befragt. Der Shareholder-Value wurde zum Mantra. Und die Firmenchefs folgten dem widerspruchslos.

Statt Kapital in aufbauend wirkende und aufrechterhaltende Innovationsprojekte zu stecken, wurde es vermehrt in Effizienzinnovationsprojekte gesteckt. Der Return on Investment (ROI) – eine weitere dieser Wirtschaftskennzahlen – war rascher und mit größerer Erfolgswahrscheinlichkeit erreicht. Auch wenn die Ertragshöhe üblicherweise niedriger ausfällt. Die erweiterte Tabelle sieht dann folgendermaßen aus:

Aufbauend wirkende Innovation Aufrechterhaltende Innovation Effizienzinnovation
Arbeitsplätze schafft viele schafft wenige vernichtet
Kapital bindet beschränkt gebraucht setzt frei
ROI Dauer langfristig mittelfristig kurzfristig
Erfolgsgewissheit sehr unsicher unsicher sicher
Ertragshöhe hoch mittel niedrig
Kapital wird vorwiegend in einer Art von Innovation eingesetzt
Kapital wird vorwiegend in einer Art von Innovation eingesetzt

Gemeinsam mit den quartalsweisen Erfolgsnachweisen, wie sie bei öffentlich gehandelten Unternehmen der Fall ist, sind Manager dazu angehalten kurzfristiges Denken und Verhalten zu zeigen. Diese Tendenz hat sich in der Praxis und in vielen Studien bereits gezeigt. Der Wirtschaftsverhaltensforscher Richard Thaler zeigte das mit der Mikro- und Makrobetrachtung. Al Gore zitiert in seinem Buch The Future eine Studie bei der CEOs und CFOs befragt wurden, ob sie eine gute Investitionsgelegenheit am Schopf packen würden, auch wenn es bedeuten würde dass sie die nächsten Quartalszahlen verpassen. Wenig überraschend war, dass achtzig Prozent der Befragten die Investition nicht tätigen würden.

 

Die Kapitalknappheit von vor 50 Jahren ist nicht mehr gegeben. Tatsächlich jammern Investmentmanager, dass es zu wenig gute Investitionsmöglichkeiten gibt. Damit meinen sie vor allem Investments in Effizienzinnovation. Zu viel Geld sucht nach zu wenigen solcher Investments. Umgekehrt beklagen Start-up-Gründer und Innovatoren mit Projekten die gänzlich neue Sachen probieren, dass es sehr schwer ist an Kapital zu kommen. Zu viel Kapital gruppiert sich um Effizienzinnovation, während Projekte mit aufbauend wirkender und aufrechterhaltender Innovation trocken gelegt werden.

Und das hat Auswirkungen auf Arbeitsplätze. Es werden einfach keine oder nicht in ausreichender Zahl mehr geschaffen. Diese Auswirkungen sind aber weitreichender als gedacht. Sie machen Unternehmen viel anfälliger für Attacken, wenn mit Risikokapital ausgestattete Unternehmen mit disruptiver Innovation kommen. Und diese kommen vor allem aus dem Silicon-Valley-Umfeld. Venturekapitalisten aus dem Silicon Valley investieren vor allem in diese beiden ersten Typen an Innovation, lassen dabei aber Effizieninnovation aus dem Spiel. Durch den Fokus auf Effizienzinnovation schwächen Investoren und Kapitalgeber in Unternehmen weltweit soweit, dass sie widerstandslos Opfer der Silicon-Valley-Unternehmen werden. Und das ist nicht nur auf einige wenige Industrien beschränkt, sondern betrifft alle. Wie weitläufig das Problem ist lässt sich anhand der Bandbreite der Industriedelegationen die zu Besuch ins Silicon Valley kommt erkennen.

Der ganze Vortrag von Clayton Christensen kann im folgenden Video verfolgt werden.

 

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