So wenig man eine Pandemie vorhersehen kann, oder eine Wirtschaftskrise, oder einen Wintereinbruch im Dezember, genauso unvorhersehbar sind Aufregungen um die eigene Person. Was weiß die Öffentlichkeit schon um die Bürde und die Pflichten einer Position wie der meinigen? Forderungen nach Entschuldigungen für vermeintliche Fehltritte wirken insofern grotesk. Doch wie man einem grausamen Gott gelegentlich eine Ziege oder den Erstgeborenen opfern muss, muss man hin und wieder eine Entschuldigung als Opfer an den Empörungsgott der öffentlichen Meinung leisten.
Der Könner weiß, dass eine geschickte Formulierung die Wogen glätten und die Empörung umlenken kann, ohne dass sie zu persönlichen oder gar materiellen Opfern führen müssen. Man wählt Worte, die alles richtig klingen lassen, aber doch nie das Wesentliche sagen. Und das ist die Kunst der Nicht-Entschuldigung. Insgesamt 40 Kunstgriffe habe ich identifiziert, die helfen können, die Meute zu beruhigen, sich aber eigentlich wirklich zu entschuldigen. Zwei dieser Kunstgriffe stelle ich hiermit vor.
Der folgende Text ein Auszug aus dem im Herbst 2021 von mir erscheinenden Buch:
Die Kunst, wie man sich nicht entschuldigt
40 Kunstgriffe für Minister, Manager und sonstige Mistkerle, die Scheiße gebaut haben und nun die Aufregung nicht verstehen.
13. Kunstgriff: Es ist passiert, aber ich bin das eigentliche Opfer
Wenn man der Herr über viele Schäfchen ist, dann kann es sehr irritierend sein, wenn kläffende Hunde von außen die Ruhe stören, und die eigenen Hirtenhunde nicht ihre Arbeit verrichten lassen. In der Natur der Sache sind schwarze Schafe nicht zu verhindern. Und wenn es diese gibt, dann muss Gott sie so gewollt haben. Was also soll ein einfacher Kardinal da schon machen?
Das muss sich der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki gedacht haben, als er gezwungenermaßen ein Gutachten in Auftrag geben musste, das sexuelle Gewalt innerhalb des Erzbistums aufklären sollte. Doch dann kam es zu Verzögerungen, und Monate nach der Fertigstellung des Berichtes, lag dieser noch immer unveröffentlicht auf dem Schreibtisch des Kardinals. Dieser, der Kardinal, nicht der Schreibtisch, grübelte ob des Inhaltes, der einige Unannehmlichkeiten beinhaltete, die genauerer ‚Untersuchung‘ bedurften. Dann endlich, nach Monaten des intensiven Grübeln, gab der Kardinal im Dezember 2020 den März 2021 als viel antizipierten Erscheinungstermin an. Was sind schon weitere drei Monate nach zwei Jahren Untersuchung, wenn die katholische Kirche in Dimensionen von Jahrtausenden denkt? Das müssen doch auch die verbohrtesten Kritiker, wahrscheinlich ohnehin alles Heiden oder Pharisäer, verstehen.
Woelki sprach seinen Frust über diese ungerechte Behandlung in der Öffentlichkeit bei der Christmette 2020 aus, weil Kritiker nicht verstehen wollten oder konnten, dass ‚methodische Mängel‘ beim Gutachten ausgemerzt werden mussten und somit erst im März des Folgejahres veröffentlicht werden würde. Ohnehin eine Spitzenleistung, beachtet man, dass dies alles während einer Pandemie geschah.
Dieses Unbehagen kam aus der Erklärung des Kardinals gegenüber Medien zum Ausdruck, und ehrlich, wer kann es ihm verdenken, dass der reine Hüter über seine Schäfchen nicht sonderlich erfreut war, nun selbst die Wange herhalten musste?
„Was die von sexueller Gewalt Betroffenen und Sie in den letzten Tagen und Wochen vor Weihnachten im Zusammenhang mit dem Umgang des Gutachtens zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt in unserem Erzbistum, was Sie an der Kritik darüber und insbesondere auch an der Kritik an meiner Person ertragen mussten – für all’ das bitte ich Sie um Verzeihung.“
Kardinal Rainer Maria Woelki, Köln
Es ist ja selbst für jeden, der nicht sehen möchte und blind glaubt, offensichtlich. Die eigentlichen Betroffenen des sexuellen Missbrauchs durch Kirchenvertreter – also Kinder in der Obhut der Kirche – sind nicht die Missbrauchsopfer selbst, sondern zuerst mal die Schäfchen, die davon nichts wussten und nun mit ansehen müssen, wie ihr Hirte – der Kardinal – zum Opfer ungerechtfertigter Vorwürfe und Kritik wird.
Aber nicht nur diese, die das Leiden dieses Vertreters Christi auf Erden mit ansehen müssen, sind Opfer, es gäbe noch weitere, wie Woelki hinzufügte:
Er bat auch Priester und alle in der Gemeinde Engagierten um Entschuldigung, dass sie ebenfalls von der Kritik getroffen würden, obwohl sich diese an das Erzbistum richteten – und vor allem an ihn selbst persönlich.
So viele Opfer, wegen ein paar schwarzer Schafe, wer hat da noch Zeit, missbrauchte Kinder zu bemitleiden? Ein bisschen stimmte noch immer etwas mit der Feinabstimmung der Entschuldigung nicht, deshalb gab es in Folge gleich noch eine ‚Entschuldigung der Entschuldigung‘:
Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki hat Fehler bei der Aufarbeitung von Missbrauchsvergehen und in der Krisenkommunikation der vergangenen Wochen eingeräumt. »Da habe ich auch Schuld auf mich geladen. Das tut mir von Herzen leid«, sagte der Erzbischof in einer Videobotschaft. »Es ging und es geht mir um konsequente Aufarbeitung.«
Die Fehler passierten nicht bei Versäumnissen der Aufsichtspflicht und Personalpolitik der katholischen Kirche, die zum Missbrauch Minderjähriger geführt hatten, sondern bei der Aufarbeitung und der Krisenkommunikation. Es überrascht nicht, dass in Folge auf diese ‚Entschuldigung‘ die Kirche wiederum zum Opfer wird. Viel zu viele Menschen wollten nun aus der katholischen Kirche austreten, und brachten damit die Server für die Anmeldung zu den Austrittsterminen zum Zusammenbruch.
31. Kunstgriff: Ich entschuldige mich, wenn man Wert darauflegt
Auf den Wirtschaftsuniversitäten lernen Studenten im ersten Kurs wie Angebot und Nachfrage die Preise bestimmen. Ist die Nachfrage größer als das Angebot, steigt der Preis. Ist die Nachfrage kleiner, dann sinkt er. Intuitiv hatte der Bürgermeister von Feldkirch in Vorarlberg, Wolfgang Matt, das erkannt als es um den Wert von Entschuldigungen ging. Wozu soll man sich die Mühe machen und entschuldigen, wenn niemand Wert darauf legt? Klingt einleuchtend. Doch worum war es eigentlich gegangen? Dazu müssen wir über den Wert von Impfdosen und Menschenleben angesichts einer Pandemie sprechen.
Der ÖVP-Bürgermeister Matt wurde nämlich zu Beginn der COVID-Impfungen geimpft, als sein Name noch gar nicht auf der Liste der Impfberechtigten aufgeschienen war. Weder waren alle berechtigten Über-Achtzigjährigen, oder die Altersheimbewohner seines Ortes, noch die Pfleger geimpft worden, aber er hatte schon eine Dosis erhalten. Er hatte sich – so zumindest sagen es seine Neider – einfach vorgedrängt. Er wiederum sah das ganz anders. Er sei mit einer überschüssigen Impfdosis am Ende des Tages versorgt worden, die ansonsten weggeschmissen werde hätten müssen. So wie man altes Brot auch nicht wegschmeiße, sondern noch als Toast esse, wäre es mit Impfdosen. Auf die Idee, weitere Berechtigte anzurufen und zur Impfstelle zu bringen, war er nicht gekommen.
In der Nachrichtensendung ZIB2, zu der er eingeladen worden war, verwickelte er sich auf Nachfragen des Moderators Armin Wolf in einige Widersprüche über den genauen Hergang. Dabei empfand Matt diese Kritik etwas unfair, bezeichnete er sich doch selbst als jemanden, der „selbstkritisch“ sei und dem „auch kein Stein aus der Krone falle“. Vor allem auch dass es ihm „im Herz weh“ täte. An Rücktritt habe er nicht gedacht, und mit einer Entschuldigung sei das so eine Sache.
„Ich kann mich entschuldigen, wenn man Wert darauf legt.“
Wolfgang Matt, Bürgermeister von Feldkirch
Aus den Reaktionen der Menschen und der Zeitungsmeldungen wurde deutlich, dass ‚man Wert darauf legte‘. Ganz geheuer schien dem Bürgermeister der mit 34.000 Einwohnern kleinen Stadt im Westen des Landes die so unerwartete öffentliche Aufmerksamkeit nicht. Dass er gleich zwölf Minuten in der halbstündigen, bundesweit ausgestrahlten Spätabendnachrichtensendung des ORF für seine selbstlose Aufopferung zur Rettung der Impfdosen gegrillt werden sollte, kam für ihn überraschend. Seine zweite Impfdosis werde er dann kriegen, wenn er an der Reihe sei, meinte er abschließend bedrückt. Manchmal ist die Aufregung es nicht wert.
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