Die Oscarnacht 2022 geht nicht wegen der Filme und ihren Stars in die Geschichte ein, sondern wegen einer handfesten Szene zwischen dem Standup Comedian und Moderator Chris Rock und dem Schauspieler Will Smith. Letztere war auf die Bühne gekommen und hatte Rock eine Ohrfeige verpasst.
Vorangegangen war dem Ganzen Chris Rocks Moderation, in der er die sehr kurzen Haare der Schauspielerin Jada Pinkett, der Frau von Will Smith, kommentierte. Er warte darauf, dass sie in GI Jane 2 spielen würde. Im Film (mit eingedeutschtem Titel) Die Akte Jane aus dem Jahr 1997 verkörperte Demi Moore eine ehrgeizige Soldatin, die eine Stoppelglatze trug.
Chris Rock spielte mit dem Kommentar auf Pinketts Stoppelglatze an, die sie wegen einer Erkrankung hat. Sie leidet an einer Form von Haarausfall – Alopecia areata – bei der einer Betroffenen die Haare büschelweise ausfallen und dabei oft vom Kopfhaar ausgehend runde Stellen zurückbleiben. Soweit so schlimm.

Warum aber nahm Will Smith diese offensichtlich witzig gemeinte Anspielung von Chris Rock so schlecht auf, dass er auf die Bühne stampfte und Rock eine vor allen Augen verpasste?
Dazu muss ich natürlich zuerst mal klarstellen, dass ich keine Form von Gewalt goutiere. Physische Gewalt wie diese hat nichts in unserer Welt zu suchen, weder öffentlich noch privat. Und die meisten öffentlichen Kommentare dazu verurteilen Will Smith auch scharf. Und das zu Recht. Dabei wird aber etwas sehr Wichtiges außer acht gelassen.
Verbale Gewalt
Die physische drängt die vorangegangene verbale Auseinandersetzung in den Hintergrund. Und das Ziel der Attacke war eine schwarze Frau. Dunkelhäutige Frauen (ich spreche vor allem hier mal von den USA) sind die vermutlich am geringsten respektierte Gesellschaftsgruppe. Frau sein allein ist manchmal schon schlimm genug, aber dann auch noch eine dunkle Hautfarbe haben macht Frauen verstärkt zu Zielen von Missbrauch und Attacken.
Sie werden nicht ernst genommen, ihre Autorität nicht anerkannt, ihre Wünsche und Vorstellung ignoriert, sie werden bevormundet und herablassend behandelt, und vor allem wird nach wie vor versucht ihren Körper zu kontrollieren. und das sowohl von Männern, egal ob schwarz oder weiß, und von weißen Frauen. Die berechtigte Frage, die sich schwarze Frauen stellen ist, warum – wie die Twitter-Benutzerin Loni – weiße Frauen sehr rasch Will Smith “toxische Maskulinität” unterstellen, weil er jemanden geohrfeigt hat, aber die verbalen Ausfälle von Chris Rock (der Geohrfeigte) gegenüber einer schwarzen Frau nicht?
Das Problem weißer Menschen mit den Haaren von schwarzen Menschen
Der Trigger, der Will Smith wohl zur Ohrfeige verleitete, war dann auch etwas, was weiße Personen schlecht oder gar nicht verstehen. Es geht um die Haare einer schwarzen Frau. Natürliches Haar von Menschen mit afrikanischen Wurzeln ist oft in der Ausprägung, Textur und Frisurstil sehr unterschiedlich von Menschen mit heller Hautfarbe.
Das führte in der Vergangenheit dazu, dass das afro-amerikanisches Haar als “unprofessionell” betrachtet wurde. Schulen und Unternehmen führten und führen neben Kleidungsvorschriften, die vor allem Mädchen betreffen, auch Frisurvorschriften ein, die sich vor allem gegen die von Menschen mit dunkler Hautfarbe natürlich getragenen Haarstile richteten und nach wie vor richten. Eine Reihe von Gerichtsfällen befasste sich damit. Viele schwarze Frauen beispielsweise unterzogen sich dabei jahrelang der aufwendigen und unangenehmen Prozedur, ihre Haare zu glätten um damit “professioneller” – sprich “weißer” – auszusehen.
Die Art wie Haare auszusehen haben und getragen werden dürfen wurden somit zu einem gesellschaftlichen Konflikt, der besonders schwarze Frauen diskriminierte. Da die Haare dieser Frauen nach wie vor bei Bewerbungsgesprächen zum Thema gemacht werden, ist diese Problematik aktueller denn je.
Es wurde dazu sogar erst kürzlich in Kalifornien der CROWN Act als Gesetz verabschiedet, der Diskriminierung aufgrund von Frisur und Haarstruktur verbietet.
Und damit ist die Heftigkeit der Reaktion von Will Smith einzuordnen. Schwarze Männer wie Will Smith und wie Chris Rock wissen sehr genau um die kulturelle Sensibilität dieses Themas Bescheid. Für jede schwarze Frau im Publikum und vor den Bildschirmen war dieser Affront sofort erkennbar. Fast nicht aber für das weiße Publikum.
Und das ist der weitere Punkt: Chris Rock machte sich über eine schwarze Frau und deren Haarstil, der durch eine Erkrankung bedingt ist, lustig. Und das vor einem vorwiegend weißem Publikum, das die Explosivität dieses Thema nicht begreift.
Elitär? Reich? Selber Schuld?
Viele werfen nun ein, dass es sich hier um eine Veranstaltung handelte, wo man wohl wisse, worauf man sich einlasse, vor allem wenn der Moderator Chris Rock heißt. Immerhin sei er für seinen Brachialhumor bekannt und auch dafür, Grenzen zu überschreiten. Das ist auch mit klar, immerhin hatte ich mal eine Zeit als Kabarettist verbracht und gab ein Satiremagazin heraus. Und ich bin absolut gegen physische Gewalt.
Was hier nicht eingeworfen werden darf, dass die Ziele des Spotts ja ohnehin nur reiche, elitäre und in der Öffentlichkeit stehende Personen getroffen habe. Denn das gerechtfertigt die verbalen Ausfälle nicht. Und es ist auch völlig egal, was man persönlich über die angegriffene Person denkt, das tut nichts zur Sache.
Mir ist schon klar, dass Humor sich am besten gegen Menschen mit Macht und Einfluss richtet, wie es eben Politiker oder Prominente sind. Doch die öffentliche Lächerlichmachung von schwarzen Frauen zeigt nur eines: nicht mal die können sich wehren, wie also sollen dann erst Menschen ohne Geld und Macht sich dagegen wehren.
Physische Gewalt, physische Wunden sieht man; verbale Gewalt, verbale Verletzungen sind unsichtbar.
Dazu sind aktuell zwei Beispiele angebracht, um das zu verdeutlichen.
Das erste Beispiel betrifft die zum Obersten Gerichtshof der USA nominierten Kandidatin Ketanji Brown Jackson. Hier konnte die Öffentlichkeit in den Hearings miterleben, wie weiße Männer (der republikanischen Partei) der hochqualifizierten Kandidatin die Kompetenz absprachen, sie von oben behandelten und ihr Leben ihre bisherige Arbeit in oft unsachlicher Form in Frage stellten.
Das zweite Beispiel betrifft Kim Kardashian und ihren Ex-Ehemann Kanye West. Nach der Trennung begann Kanye West seine Versuche sie zurückzuerobern. Der verschmähte Liebhaber. Zuerst versucht er es mit schönen Floskeln, dann mit Drohungen, und oft endet das in Gewalt. Höhepunkt war hier letztendlich, dass Kanye West ein Video auf Instagram vor seinen 80 Millionen Followern veröffentlichte, in der er eine Puppe köpfte, die den neuen Partner von Kardashian darstellte.
Erst als der Host der The Daily Show, Trevor Noah, diese Online-Belästigungen in einem fast zehnminütigen Segment analysierte und darauf hinwies, dass es sich hier eindeutig um die Online-Belästigung einer Frau durch einen verschmähten Liebhaber handelte, und nicht um eine Unterhaltungsshow, und dass selbst die Prominenz und das Geld von Kim Kardashian ihr nicht halfen, davon loszukommen, erst dann reagierte Instagram und sperrte Kanye Wests Instagramkonto.
Weißer Elitarismus zu physischer Gewalt
Viele Internet-Kommentare weißer Menschen reiben sich jetzt vor allem an der gezeigten physischen Gewalt, übersehen aber geflissentlich die vorangegangene verbale Gewalt. Physische Gewalt, physische Wunden sieht man; verbale Gewalt, verbale Verletzungen sind unsichtbar.
Was schwarze Frauen sahen war etwas ganz anderes als weiße Frauen (und Männer): sie sahen einen Upstander – Will Smith – der für eine schwarze Frau einstand und den verbalen Gewalttäter zur Rechenschaft zog.
War die Ohrfeige die richtige Form? Sicher nicht. Will Smith hätte auf die Bühne kommen, sich ein Mikrofon schnappen und eine kleine Rede halten können. Nämlich wie schlecht es ist Witze über schwarze Frauen mit einer Erkrankung zu machen und vielleicht die Krankheit einer größeren Öffentlichkeit näher bringen können. Hat er nicht, er wählte die Ohrfeige in der Hitze der Beleidigung.
Allerdings ist das Ergebnis für schwarze Frauen sofort greifbar: jeder Mann, der nun meint schlechte Witze oder Bemerkungen über die Haare einer schwarzen Frau machen zu müssen, überdenkt das nun lieber. Die LA Times sagte das eindeutig: “Die Zeit der Witze über das Haar von Schwarzen ist vorbei“
Und schwarze Frauen ergriffen eine eindeutige Position: sie waren auf der Seite von Will Smith und warfen allen anderen Heuchelei vor. Sobald nämlich endlich einmal jemand für eine schwarze Frau einstand, wurde das sofort von allen anderen “Huch, ich bin gegen Gewalt” verurteilt. Hier nur ein paar der Tweets von dunkelhäutigen Frauen.
Für uns – als weiße Menschen – bedeutet das auch, dass wir unsere Moral, unser Gerechtigkeitsverständnis nicht aller Welt aufdrücken dürfen, wenn wir den kulturellen und geschichtlichen Kontext nicht kennen. Denn wenn wir den nicht verstehen, dann schaden wir den Opfern noch einmal.
Und zum Abschluss Jada Pinkett in ihren eigenen Worten zu ihrem Haar:
“Als schwarze Frau und im Umgang mit Haaren in Hollywood, vor allem in der Zeit, in der ich aufgewachsen bin, ging es immer darum, die Haare so europäisch wie möglich aussehen zu lassen”, sagt Pinkett Smith in dem Video. “Das war eine echte Herausforderung, denn ich mochte mein Haar offen, wild und lockig. Aber das wollte niemand. Also musste ich meine Haare immer auf eine Art und Weise frisieren, die sich für mich nicht natürlich anfühlte, weil ich das Spiel spielen wollte.”
“Wenn ich also ein Cover mache, sagen alle: ‘Nein, wir wollen dein Haar glatt und fließend'”, fuhr sie fort. “Ich dachte: ‘Na gut, cool, aber das ist nicht wirklich das, was mein Haar gerne macht. Also musste ich lernen, den Mut zu haben, einfach zu sagen: ‘Nein, das mache ich nicht’, und deshalb fühle ich mich heute so frei. Es ist mir scheißegal, was die Leute über meine Glatze denken. Denn wisst ihr was? Ich liebe sie.”