Während die einen künstliche Intelligenz in Form von ChatGPT als ‘grottenschlecht‘ bezeichnen und nicht um ihren Job oder die Zukunft der Menschheit fürchten, sind andere von den Möglichkeiten sowohl begeistert als auch verängstigt. Was wird aus Künstlern, Autoren und meinem eigenen Job, wenn diese KIs kreativ sein können und das in Frage stellen, was wir als zutiefst menschliche Fähigkeiten betrachtet hatten?
Wie auch immer die Meinungen und Gefühle dazu, ChatGPT als prominentesten Vertreter der generativen KIs die uns aktuell mit immer neuen Anwendungen überfordern zu scheinen, die Faszination damit ist unbestreitbar. So hatte ChatGPT von OpenAI in nur 5 Tagen nach der öffentlichen Bereitstellung bereits eine Million Benutzer. Im Vergleich: Instagram kam erst nach 75 Tagen auf diese Zahl. Und Mitte Mai, knapp ein halbes Jahre nach dem Release, waren es 100 Millionen Benutzer. Hilfreich ist dabei, wie einfach all diese KIs zu verwenden sind. Ein Browser reicht in den meisten Fällen umd diese Werkzeuge zu benutzen. Einen ähnlichen Boom gab es vor knapp 26 Jahren, als mit Netscape der erste Browser veröffentlicht wurde, der vielen Menschen zum ersten mal das Internet zugänglich machte. Wie es dem Internet seither gegangen ist, wissen wir allzu gut. Es ist aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken. Es hat ganz sicher unser Leben verändert.
Das unterscheidet KI auch von anderen Technologien, die als das „nächste große Ding, das die Welt verändern wird“ vollmundig angepriesen wurden, die dann so schnell wieder verschwanden wie sie gekommen waren oder immer noch in dem ewigen Zyklus von „verfügbar in den nächsten 10 bis 20 Jahren“ hängen. Fliegende Autos, Metaverse, Krypto oder ewiges Leben gehören dazu.
Als hilfreich erweist sich dabei der von der venezolanischen Techno-Ökonomin Carlota Perez erstellten Framework, in denen sie für die Bestimmung einer wahren technologischen Revolution drei Kriterien anlegt, die diese erfüllen müssen:
- Entstehen einer Mehrzwecktechnologie (General Purpose / Multipurpose Technologie);
- Billige Schlüsselressourcen ändern die Kostenstruktur;
- Entstehen einer oder mehrerer Infrastrukturen;
Beispielsweise war im 19. Jahrhundert eine solche Mehrzweckressource die Dampfmaschine, im 20. Jahrhundert die Elektrizität. Diese ermöglichten die Verwendung in allen möglichen Branchen, wie dem Bergbau, als Antriebskraft für Maschinen in Fabriken oder den Antrieb von Lokomotiven. Kostengünstige Kohle, Öl oder Wasserkraft wurden zu den wichtigsten Schlüsselressourcen, die die Preise der geförderten oder erzeugten Güter und Mobilität drastisch senken und die Fertigungs- oder Transportgeschwindigkeit erhöhen konnten. Parallel dazu entstand die benötigte Infrastruktur wie Schienenstrecken oder Stromleitungen, die den Einsatz großflächig und in allen Industrien und Gesellschaften für wirtschaftliche, militärische oder private Zwecke ermöglichten. Auch Computer in allen möglichen Formen sind eine solche Mehrzweckressource, deren Schlüsselressourcen wie Strom, Datenspeicher oder Prozessoren immer billiger und leistungsfähiger werden und dank des Internets und Mobilfunk schier unbegrenzte Einsatzmöglichkeiten bieten.
Diese Technologierevolutionen unterliegen einem Zyklus, den schon der sowjetische Ökonom Nikolai Kondratjew 1926 entdeckt hatte und den der österreichische Nationalökonom Joseph Schumpeter erweiterte. Mit der Entdeckung oder Entwicklung jeder neuen Mehrzwecktechnologie steigt die Innovationsgeschwindigkeit an, bis zu einer Sättigung fällt dann wieder ab. Sobald eine neue Mehrzwecktechnologie eingeführt wird wiederholt sich der Zyklus. Die Zyklen profitieren von den vorherigen und die Zyklendauern verringern sich. Innovation geschieht rascher, wird schneller umgesetzt und fällt dann steiler ab als in vorherigen Zyklen.
Und doch gibt es einen großen Unterschied zu den Technologierevolutionen der Vergangenheit. Deren Infrastruktur nahm einige Zeit in Anspruch zu entstehen. Eisenbahnschienen zu verlegen, das Stromnetz mit den Verteilersystemen und Generatoren aufzubauen, Breitbandleitungen, Satelliten und Internetanschlüsse bereitzustellen nahm Jahre und Jahrzehnte in Anspruch. Künstliche Intelligenz wie wir sie hier erleben und wie sie seit Ende 2022 vielerorts den öffentlichen Diskurs bestimmt, ist verhältnismäßig ‚einfach‘ aufzusetzen und mit bereits bestehender Infrastruktur zu verknüpfen.
Genau das beschert uns eine kambrische Explosion an KI-Anwendungen, die wir bislang nur von Smartphones und deren Apps kannten und nun um ein Vielfaches übertroffen wird.
Ankündigung: Neues Buch
Ende November 2023 wird mein zweites Buch zu künstlicher Intelligenz erscheinen. Nach Wenn Affen von Affen lernen, das Anfang 2020 erschienen ist und in dem ich bereits autonome Agenten wie hier erwähnt beschrieben habe, kommt Kreative Intelligenz: Wie ChatGPT und Co die Welt verändern werden in den Buchhandel. Darin werde ich von generativen und autonomen KIs berichten, wie sie entstanden sind, wie sie funktionieren, was sie können und was sie nicht können, wie sie eingesetzt werden und unser Leben verändern.

Was ist die Basisinnovation der KI? Das ist immer noch der Computer, also der 5. Kondratieff. Was leistet KI? Es bereitet strukturiertes Wissen auf, und zwar so, wie es der Frager will, und allein seien Entscheidungen, die zu dieser Frage führen, sowie die Entscheidung, was er nutzt, ist die eigentliche Wertschöpfung. Wo ist die Realkostengrenze, die sich aufgestaut hat, und durch einen neuen Kondratieffzyklus durchbrochen wird? KI wird weiter helfen, strukturierte Wissensarbeit zu übernehmen, bei allen Kosten und destruktivem Aufwand, wie falsches Wissen, Durchschnittswerte, Algorithmen. Der Mensch mit seiner Entscheidungsfähigkeit wird noch wichtiger, Software lässt sich billiger generieren usw. aber die eigentlichen Realkostengrenze sind in der Lebensarbeitszeit des Menschen, in seiner Fähigkeit, mit anderen Menschen gut zusammenzuarbeiten, Wissen im Team produktiv anzuwenden, ethisch sich über den einzelnen hinaus für das Gesamtwohl zu entscheiden – und bei all diesen relevanteren Teilen der Prozesskette ist KI außen vor, höchstens mal ein helfendes Tool. Mit Kondratieff hat das nichts zu tun, auch die drei Kriterien von Carlotta Perez treffen ja hier wohl nicht zu. Seit 30 Jahren bekomme ich mit, wie jemand alle zwei oder drei Jahre sein eigenes Feld zum neuen Kondratieff erklärt. Es tut mir deshalb weh, weil es verhindert, sich um die eigntlichen Produktivitätssteigernden Themen zu kümmern, um Unternehmen und Staaten zu stabilisieren.
Was genau sind denn die “eigentlichen Produktivitätssteigernden Themen”?
Und hast Du schon von autonomen KIs gehört?
Was die Produktivitätssteigernden Themen sind? Wenn zwei Abteilungsleiter nichts miteinander reden, dann fehlt die Info, die nötig gewesen wären, um ein Problem zu lösen und viel Umsatz zu machen – da hilft keine KI. Wenn Leute in schlechten Arbeitsklima Burnout erleiden und in Frührente gehen – der entgangene Nutzen und Wertschöpfung ist teuer, wird durch Gesundheit und konstruktive Zusammenarbeit gehoben. 200 Jahre haben wir mit technischen Innovationen die materiellen und energetischen Flaschenhälse beseitigt, zuletzt hat der Computer inkl. KI die strukturierte Wissensarbeit erschlossen. Jetzt geht es im 6. Kondratieff um das heben der unscharfen, unstrukturierten Wissensarbeit, und die Basisinnovation dafür ist psycho-soziale Gesundheit, ad geht es um längere produktive Lebensarbeitszeit und produktives Anwenden von Wissen. Ich habe 60.000 Bücher zum nächsten Kondratieff verkauft, aber warum gibt es darüber keine breite Debatte? KI ist ein Unterkapitel des 5. Kondratieffs, aber kein Kondratieff an sich.