Tübingen: Boris Palmer entschuldigt sich – nicht

Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer von den Grünen war schon in der Vergangenheit mit öffentlichen Tiraden und einer Wortwahl aufgefallen, die hart an der Grenze zum Erträglichen lagen. Diesmal ging er allerdings einen Schritt zu weit, als er bei einer Migrationskonferenz voll sensibel einem nicht-weißen Redner mehrmals das ausgesprochene N-Wort an den Kopf geschmissen hatte, und die daraufhin gegen ihn (Palmer) gerichtete Empörung mit dem verglich, was die Juden wohl durchgemacht haben mussten. Hier im Wortlaut:

Das ist nichts anderes als der Judenstern. Und zwar, weil ich ein Wort benutzt habe, an dem ihr alles andere festmacht. Wenn man ein falsches Wort sagt, ist man für euch ein Nazi. Denkt mal drüber nach.

Wäre der Fettnäpfchenslalom ein Wettbewerb , Boris Palmer hätte dabei zielsicher alle Fettnäpfchen als erster mit seinen Füßen zerdeppert und wäre deutscher Meister aller Klassen.

Es kam wie es kommen musste, Palmer trat zurück und ließ eine Entschuldigung verlautbaren, die bei näherer Betrachtung alles andere als eine ist. In meinem Buch Sorry Not Sorry: Die Kunst, wie man sich nicht entschuldigt, beschreibe ich die unterschiedlichen Kunstgriffe, wie man eine vermeintliche nach Entschuldigung klingende Entschuldigung vorbringt, die mehr aus der Not heraus kommen, aber keine ehrliche Entschuldigung darstellen.

Sorry Not Sorry

Ich möchte Boris Palmers Entschuldigung analysieren und die Kunstgriffe herausarbeiten, die er verwendet. Vergangene Analysen zu Nicht-Entschuldigungen mit Beispielen zu Kardinal Ratzinger, a.k.a. Papst Benedikt, der ehemaligen österreichischen Ministerin Christine Aschbacher, Jeremy Clarkson über Meghan Markle, Marco Goecke der Hundekot auf eine Kritikerin warf, oder die Rücktrittsrede des nun ehemaligen österreichischen Bundeskanzlers Sebastian Kurz zeigen auch das Prinzip.

Was sagt Palmer in seiner Entschuldigung so? Hier ist der Text:

Die wiederkehrenden Stürme der Empörung kann ich meiner Familie, meinen Freunden und Unterstützern, den Mitarbeitern in der Stadtverwaltung, dem Gemeinderat und der Stadtgesellschaft insgesamt nicht mehr zumuten.

Dieser Teil wendet sich mit keinen Worten an den Migrationskonferenzteilnehmer, dem er mehrmals das N-Wort an den Kopf geworfen hatte oder an die Mitglieder der jüdischen Gemeinde, mit denen er sich als Opfer verglichen hatte, sondern dass seine Familie, seine Freunde und Unterstützer, die Mitarbeiter der Stadtverwaltung und so weiter – also eigentlich er selbst – die wahren Opfer seien. Denn ihnen (und sich selbst) könne er die wiederkehrenden Stürme nicht zumuten. Kein Wort, wieso es diese wiederkehrende Stürme gibt: seine eigene Wortwahl, mit denen er benachteiligte Menschen nonchalant beleidigt und sogar nachlegt, wenn er Widerstand spürt.

Ganz im Gegenteil, er fühle sich zu Unrecht angegriffen. Man kriegt beinahe das Gefühl, er nehme sich das Recht heraus sich in der Öffentlichkeit wie ein Idiot zu benehmen und alle zu beleidigen, sobald sein Maßstab – er sei zu Unrecht angegriffen worden – erfüllt ist. Kein Wort darüber, dass er selbst andere Leute beleidigt und angreift. Das ist doch sein gutes Recht, nicht wahr nicht?

Wenn ich mich zu Unrecht angegriffen fühle und spontan reagiere, wehre ich mich in einer Weise, die alles nur schlimmer macht.

Das ist der 13. Kunstgriff: Es ist passiert, aber ich bin das eigentliche Opfer und irgendwie sind die anderen Schuld, denn sie greifen ihn zu Unrecht an (er fühlt es jedenfalls so): 6. Kunstgriff: Es ist passiert, aber aus gutem Grund.

Er bekennt zwar, dass er als Politiker und Oberbürgermeister so hätte niemals reden dürfen. Auch dass er nur versuchen könne, sich selbst zu ändern. Und das ist lobenswert, aber sein nächster Satz, was er nun zu tun pflege, relativiert das schon wieder:

Ich werde daher professionelle Hilfe in Anspruch nehmen und den Versuch machen, meinen Anteil an diesen zunehmend zerstörerischen Verstrickungen aufzuarbeiten.«

Man bemerke, er wolle “[s]einen Anteil an dieses zunehmend zerstörerischen Verstrickungen auf[zu]arbeiten“, was auf gut Deutsch soviel heißt wie, “Ich habe zwar Anteil an der Aufregung, aber der ist gering und die anderen haben mindestens einen ebenso großen Anteil daran, dass ich ausfällig geworden bin.” Eine klassische Täter-Opfer-Umkehr. Was provoziert ihn denn auch dieser nicht-weiße Migrationskonferenzteilnehmer mit seiner dunkelhäutigen Anwesenheit? Also echt! Und warum bezeichnen mich alle als Nazi, wenn ich ganz harmlos Nazi-Worte verwende? Das schreit fast schon nach dem 16. Kunstgriff: Es ist passiert, aber der Beleidigte soll sich entschuldigen.

Zum Schluss kündigt er noch an, “er werde deshalb alle Konfrontationen mit ersichtlichem Eskalationspotenzial durch Abstinenz vermeiden.” No shit! 27. Kunstgriff: Es ist passiert, und ich mache jetzt eine großzügige Geste. Niemand wird dich mehr dazu einladen und es ist besser, wenn wir von Boris Palmer die nächsten Jahr nichts mehr hören und ihn öffentlich auftreten sehen. Diese großzügige Geste ist nur eine Reaktion darauf, dass du nicht mehr eingeladen werden wirst.

Ein Gedanke zu “Tübingen: Boris Palmer entschuldigt sich – nicht

  1. Man kann gar nicht mehr so viel den Kopf schütteln wie man müsste. Bedauerlich, was Herrn Palmer immer wieder so reitet. Doch wenn ich jetzt das Ergebnis Ihrer Analyse so betrachte, sollten die Bürger:innen Tübingens dann doch mal nachdenken, was zu tun ist!

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