Über Hundekot und den Entschuldigungsmurks von Marco Goecke

Klar, es wäre vielen sofort leichter, könnte man die eigenen Kritiker einfach so mit Hundekot beschmieren. Langfristig ist das aber keine Lösung. Diese Erfahrung musste der nun Ex-Ballettchef der Staatsoper Hannover, Marco Goecke, machen, dem eine schlechte Rezension in der FAZ der Kritikerin Wiebke Hüster nich einfach so hinnahm, sondern sie in der Oper abpasste und nach einem angespannten Wortwechsel aus einer mitgebrachten Tüte Hundekot ins Gesicht schmierte. So weit, so g’schmackig.

Wenig überraschend kam die unverzügliche Suspendierung des Ballettchefs nach diesem Eklat, der ein paar Tage später die fristlose Kündigung folgte. Über seine Berliner Management-Agentur ließ Goecke eine Entschuldigung verkünden, die bei genauerem Hinsehen nur noch mehr Öl ins Feuer goß.

In meinem Buch Sorry Not Sorry: Die Kunst, wie man sich nicht entschuldigt, beschreibe ich die unterschiedlichen Kunstgriffe, wie man eine vermeintliche Entschuldigung vorbringt, die mehr aus der Not heraus kommen, aber keine ehrlichen Entschuldigungen darstellen.

Sorry Not Sorry

Deshalb möchte ich Marco Goeckes Entschuldigung analysieren und die Kunstgriffe herausarbeiten, die er verwendet. Vergangene Analysen zu Nicht-Entschuldigungen mit Beispielen zu Kardinal Ratzinger, a.k.a. Papst Benedikt , Jeremy Clarkson über Meghan Markle oder die Rücktrittsrede des nun ehemaligen österreichischen Bundeskanzlers Sebastian Kurz zeigen auch das Prinzip.

Hier nun seine Entschuldigung im Wortlaut, wie sie von seiner Management-Agentur veröffentlicht wurde:

“Ich möchte mich bei allen Beteiligten, an erster Stelle bei Frau Hüster, für meine absolut nicht gutzuheißende Aktion aufrichtig entschuldigen. Im Nachhinein wird mir klar bewusst, dass dies eine schändliche Handlung im Affekt und eine Überreaktion war.

Dennoch möchte ich festhalten, dass es in dieser für das Theater schwierigen Nach-Coronazeit für alle Medien, auch das Feuilleton renommierter Printmedien, angebracht wäre, eine gewisse Form der destruktiven, verletzenden und den gesamten Kulturbetrieb schädigenden Berichterstattung zu überdenken. Hinter jeder Theaterproduktion stehen viele Menschen, die ihr Herzblut dafür geben. Gerade weil ich auch eine Person des öffentlichen Lebens bin, kann ich nicht alles schweigend hinnehmen. Aber ich gebe zu: Meine aus der nervlichen Belastung zweier kurz aufeinander folgenden Premieren (9.2. Den Haag, 11.2. Hannover) zu erklärende Attacke auf Frau Hüster hat, wie ich völlig einsehe, die Grenzen vertretbarer Formen des Nicht-Schweigens ohne Zweifel weit überschritten.

Zugleich möchte ich aber auf Folgendes hinweisen: In einer Zeit, die auf alles, was wir tun und sagen, so sensibel reagiert, muss sich auch die Kulturkritik – und dies ausdrücklich auch unter der unstrittigen Prämisse der Meinungs- und Pressefreiheit – die Frage stellen, wo sie die Grenze zur Beleidigung, Verunglimpfung der Werke, zum Mobbing, zum Versuch negativer Meinungsmache und zur Geschäftsschädigung verletzt.

Dies hat Frau Hüster, jedenfalls mir gegenüber (und manche, wenn auch nicht alle, Kollegen und Kolleginnen werden das bestätigen können), seit Jahren immer wieder auf mehr oder weniger subtile Weise mit ihren oft gehässigen Kritiken praktiziert. Ich bitte um Verzeihung dafür, dass mir letztlich der Kragen geplatzt ist. Ich bitte aber auch um ein gewisses Verständnis zumindest für die Gründe, aus denen dies geschehen ist”

Der erste Absatz beginnt mit einer echten Entschuldigung. Es tut ihm leid, auch wenn er das erst im Nachhinein, nach einer Abkühlungsphase und einem Auf-die-Finger-klopfen durch die Staatsoper verstanden hat. Doch dann legt er nach. Nicht etwa mit noch tieferen Entschuldigungen, wie er das Wiedergutmachen kann und was er in Zukunft zu tun gedenkt, sondern mit einer Erinnerung an die Schwere der Situation, die sein Verhalten wohl doch verständlich und vielleicht entschuldigen kann.

Dazu kann man den 6. Kunstgriff: Es ist passiert, aber aus gutem Grund und den 13. Kunstgriff: Es ist passiert, aber ich bin das eigentliche Opfer erwähnen. Die schwierige Nach-Coronazeit erklärt es, und es hat ihn zum Opfer gemacht. Seine nervliche Belastung war so groß, dass es nun mal passieren kann. Tja, das ist der 22. Kunstgriff: Es ist passiert, aber ich bin ja auch nur ein Mensch.

So bereitet er den Weg auf, dass er nun zu einer Gegenattacke ansetzen kann. Den die Meinungsmacher und Medien beleidigen, verunglimpfen und mobben und sind geschäftsschädigend unterwegs. Das ist der 35. Kunstgriff: Setze zur Gegenattacke an. Und der Schuldige ist somit nicht er, Marco Goecke, sondern die von ihm mit Hundekot beworfene Kritikerin Wiebke Hüster, die ihm seit Jahren mit subtilen und gehässigen Kritiken verfolgt. Das verlangt impliziert fast schon den 16. Kunstgriff: Es ist passiert, aber der Beleidigte soll sich entschuldigen.

Wie gesagt, die Details und viele Beispiele werden in meinem unterhaltsamen Buch Sorry Not Sorry angeführt.

Es stellt sich in diesem Zusammenhang noch eine weitere Frage: Hätte Marco Goecke bei einem männlichen Kritiker auch so reagiert, oder hat er sich das nur getraut oder sogar ermutigt gefühlt, weil es sich hier um eine weibliche Kritikerin gehandelt hat und eine Vagina mit Meinung ist sowieso unmöglich?

Auch dazu habe ich ein Buch, indem ich auf diesen speziellen Aspekt detaillierte eingehe: CYBERF*CKED: Wie Frauen im Internet bedroht und belästigt werden – und was wir alle dagegen tun können.

CYBERF*CKED
Cyberf*cked: Wie Frauen im Internet bedroht und belästigt werden – und was wir alle dagegen tun können

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